Deutsche Doppelpässe

von Christian Hanf

Eigentlich wäre es das passende Rahmenprogramm für alle Fans gewesen, die sich per Auto auf den Weg zum DFB-Pokalendspiel begeben haben. Es ist allerdings zu befürchten, dass die meisten Anhänger von Werder Bremen oder Bayer Leverkusen gedankenlos die A2 entlang brausten und die „Gedenkstätte Deutsche Teilung” an der Autobahnraststätte Marienborn links liegen ließen. Hätte ihnen jemand gesagt, dass hier die Wanderausstellung „Doppelpässe” im Zeitraum zwischen dem 24. April und dem 28. Juni Station macht, wäre der netten Frau am Empfang vielleicht ein wesentlich unentspannterer Arbeitstag beschieden gewesen. So aber konnte sie sich voll und ganz ihrer eigentlichen Bestimmung widmen und dem zumeist älteren Publikum kurze Informationen zu der Ausstellung am ehemaligen Grenzübergang zwischen der Bundesrepublik und der DDR zukommen lassen.

Wo nebenan erschreckend realistisch über den Tagesablauf eines DDR-Grenzsoldaten berichtet wird, kann man sich in der Ausstellung die verschiedenen Schautafeln zu Gemüte führen, die vom Fußball im geteilten Deutschland berichten. Sie erzählen – wie sollte es auch anders sein – in chronologischer Abfolge die Fußball-Geschichten, die durch die politische Teilung von Ost und West ihren eigenen Charakter gewannen. Auf der einen Seite die westdeutschen Kicker, die bereits 1945, also im Jahr der Kapitulation der Nationalsozialisten, die Erlaubnis der Besatzungsmächte erhielten, organisiert gegen das runde Leder zu treten. Auf der anderen Seite die Arbeiter und Bauern, die fortan mit jedem Kick auf dem Platz nicht nur den Ball, sondern auch die sozialistische Idee nach vorne trieben.

So ist aus sporthistorischer Sicht der Part besonders interessant, der von der Nachkriegszeit bis zum Mauerbau erzählt. Das liegt schlicht und ergreifend daran, dass Ost und West hier tatsächlich noch in regelmäßigen Abständen auf dem Fußballplatz zusammentrafen und der Ostberliner Hertha-Anhänger durch das einfache Passieren der Sektorengrenzen seine Mannschaft am Samstag spielen sehen konnte. Die Schwarz-Weiß-Bilder versprühen ihren ganz eigenen Charme, und entsprechend nostalgisch können Fußball-Romantiker in die Nachkriegs-Sportgeschichte eintauchen. Gerade die Politpossen der ersten Jahre erregen dabei die Aufmerksamkeit. Da es auch im Fußball darum ging, die politische Anerkennung beim Rest der Welt durchzusetzen, waren beide Seiten bei jeder sich bietenden Gelegenheit darum bemüht, den eigenen Stellenwert hervorzuheben. Das konnte dann eben auch mal in Boykotten enden, wenn, wie bei der Austragung einer Deutschen Meisterschaft, diese Wertschätzung aus Sicht der (in diesem Fall: ostdeutschen) Sportfunktionäre ausblieb, weil bei der Ermittlung des Deutschen Meisters nur ein Startplatz an die damals so genannte Ostzone vergeben werden sollte.

Dass der DFB darum bemüht war, den Beitritt des ostdeutschen Fußballverbandes zur Fifa und zur Uefa zu blockieren, darf man getrost als Spiegelbild der politischen Verhältnisse betrachten. Und auch, dass aus diesen Bemühungen die Groteske um die Frage nach der Rechtmäßigkeit der DDR-Fahne mit Hammer und Sichel hervorging, ist ein Teil der Ausstellung, der die gelebte Uneinigkeit der Systeme und deren Auswirkungen auf den Sport verdeutlicht.

Dass die Ausstellung den didaktisch prägnanten Untertitel „Wie die Deutschen die Mauer umspielten” trägt, ist jedoch eher als Seifenblase einzustufen. Im ersten Moment baut sich beim Betrachter die Erwartungshaltung auf, neue, womöglich bahnbrechende Erkenntnisse zum Zeitraum zwischen 1961 und 1989 sowie zur Verbindung zwischen Ost und West auf dem Fußballplatz zu erlangen. Tatsächlich ist es aber so, dass die deutschen Fußballer die Mauer genauso gut oder schlecht umspielen konnten wie jeder andere Bürger auch. Und so erzählt die Ausstellung ab diesem Zeitpunkt eben die Geschichte, die an anderer Stelle auch schon erzählt wurde: die Geschichte zweier Nationen nämlich, deren Kicker auf beiden Seiten begeistert gegen den Ball traten. Die einen taten dies erfolgreicher als die anderen, was aber nicht zwangsläufig dazu führt, dass die Ausstellung allzu einseitig auf die bundesrepublikanische Geschichte fokussiert.

Da die Erfolge der DDR im Fußball allerdings überschaubar blieben, konzentriert man sich in „Doppelpässe” auf Altbekanntes: das Sparwasser-Tor bei der WM 1974, die Spiele des 1. FC Magdeburg gegen die versnobten und leicht paranoiden Bayern, die aus Angst vor vergiftetem Hotelessen die Cuisine im Mannschaftsbus vorzogen, und die Wunder von Uerdingen und Bremen, als sich Dynamo Dresden und Dynamo Berlin trotz ordentlicher Tore-Polster im Europapokal noch die Butter vom Brot nehmen ließen.

Obgleich die Geschichten, die das Rahmenprogramm bietet, vielen Fußball-Sachverständigen bekannt sein dürften, lassen einen die liebevollen Illustrationen immer wieder an den einzelnen Tafeln verweilen. Dabei stößt man dann auch tatsächlich auf interessante Zeitzeugen wie auch auf propagandistisch abgefasste Zeitungsartikel, die die Flucht eines DDR-Trainers in den Westen als „Verrat” anprangern. Dass Vereinsembleme von Westvereinen der Staatssicherheit dazu dienten, den sozialistischen Deutschen nahe zu bringen, wie der Klassenfeind zu identifizieren ist, wird wohl auch den wenigsten bekannt gewesen sein und amüsiert im Rückblick ein wenig.

Überhaupt ist es der Klassenkampf, der das Thema erst so richtig interessant macht. Die Geschichte des Lutz Eigendorf, der vermutlich ein Opfer der Staatssicherheit wurde, und die eigenwillige Art der ostdeutschen Funktionäre, die versuchten, die eigene Bevölkerung gegen den Klassenfeind aufzuwiegeln, sind immer wieder fesselnd. Nicht minder bemerkenswert sind die Dokumente des Überwachungsapparates, der in den achtziger Jahren die aufmüpfigen Fans ins Visier nahm und der sehr wohl existenten neonazistischen Aktivitäten innerhalb der ostdeutschen Hooliganszene Herr zu werden versuchte.

Dass all die Versuche, die eigenen Leute auf Linie zu bringen, nicht besonders erfolgreich waren und ein Großteil der Fußballfans in der DDR gerne auch mal in der Sportschau nachgesehen haben, wie es denn so um die aktuelle Form von Netzer und Beckenbauer stand, reflektiert die Ausstellung nicht. Dafür zeigt sie nochmals, dass ab 1989, als die Mauer nicht mehr „umspielt” werden musste, die westdeutschen Vereinsbosse nach Dresden, Berlin und Rostock durchstarteten, um den Thoms, Kirstens und Sammers den Weg in Richtung Kapitalismus zu weisen – was zwangsläufig auch das Ende des Rundgangs bedeutet. Was danach folgt, ist gesamtdeutsche Geschichte, die ihren symbolischen Anfang 1990 mit einem Freundschaftsspiel zwischen Hertha BSC und Union Berlin hatte, im weiteren Verlauf verdeutlichte, dass die Bundesrepublik trotz Zuwachses keinesfalls „auf Jahre unschlagbar” war, wie Franz Beckenbauer seinerzeit nassforsch behauptete, und heute mit einem echten Struktur- und Hooliganproblem auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zu kämpfen hat.

Zusammenfassend betrachtet ist die Ausstellung, gerade an diesem historischen Ort, ein durchaus gelungener Versuch, ein Stück deutscher Geschichte zu veranschaulichen. Gerade deshalb hat sie nicht zuletzt mit dem „BUND” und den Machern des Fußball-Kultmagazins „11 Freunde” einen großen Kreis an Fürsprechern. Vielleicht aber ist es auch gut, dass man sich erst einmal ein gutes Stück innerhalb der Gedenkstätte Marienborn bewegen muss, bevor man zu den „Doppelpässen” gelangt. Denn bei aller Liebe, die unsereins dem Fußball entgegenbringt, ist die Beziehung zwischen Ost und West doch eher ein Nebenkriegsschauplatz in einem großen Stück Weltgeschichte.

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