Beim FC St. Pauli wird neuerdings die Balance gehalten. Möglicher Nebeneffekt: Ein paar Mitarbeiter drohen, hinten überzukippen.

Wenn der HSV der Dino des deutschen Profifußballs ist, dann kann man den lokalen Rivalen eine Etage tiefer wohl als das Huhn auf der Stange bezeichnen. Immer um Gravitationsausgleich bemüht, schickt sich der FC St. Pauli an, die Waage zu halten zwischen den Gesetzmäßigkeiten des Geschäftes, dem er unterliegt und der einzigartigen Ausrichtung des emanzipatorischen, sozialgewissenhaften und vor allem antifaschistischen und antirassistischen Bollwerks im Moloch gesellschaftlicher Unzulänglichkeiten.

Dieses Gleichgewicht zu halten, wurde schon in der Vergangenheit immer schwerer, da man auch auf dem Kiez gemerkt hat: „Platt ist geil“. So wurden aufgrund der Malaisse, dass das geneigte Publikum unterdurchschnittlich erfreut auf Eintrittpreisexplosionen von bis zu 45 Euro für einen Sitzplatz reagierte, findige Gegenmaßnahmen ersonnen: In getrennten Aktionen wurden Weiblein und Männlein mit vergünstigen Preisen sowie – schamlos klischeebeabfeiernd – verschenkten Blümchen oder Bierkisten ins Stadion gelockt. Durchaus erfolgreich, wie der Flurfunk verlauten lässt und unter erheblichem Kopfschütteln der eingefleischten Fanszene, die auf dem Strom der Beliebigkeit alle Felle wegschwimmen sieht, die in jahrelanger und harter ideologischer Arbeit erbeutet wurden.

Nun kippt aber nicht nur die Stimmung weiter, sondern auch das Huhn von der Stange durch eine Innovation, die demnächst beim FC St. Pauli eingeführt werden soll: Es handelt sich ausgerechnet um ein Prinzip mit dem Namen „Balanced Scoreboard“.

Dieses Prinzip soll die Leistungen eines Unternehmens besser messbar machen und für Effizienz sorgen. Jedem Leistungsfaktor wird eine Kennziffer zugewiesen, diese Kennziffern werden in eine Mischung überführt, die am Ende des Tages Aufschluss darüber geben soll, wo ein Unternehmen gut ist, wo es schlecht ist und wo es sich wie verbessert hat.

Auf den ersten Blick gar nicht mal so schlecht. Ein gesundes Effizienzstreben bringt jedes Unternehmen nach vorne und spart Geld. Aber ist der FC St. Pauli wie jedes andere Unternehmen?

Von so viel Innovation besoffen, schickte sich der Verein nun an, seine neue Idee via Pressemitteilung öffentlich zu machen. Ein erstaunlicher Vorgang. Die lokale Presse, die jede Flatulenz des FC St. Pauli gerne zu einem amtlichen Durchfall aufpumpt, ließ sich nicht lumpen und hat bereitwillig berichtet. Zum Beispiel darüber, dass die Mitarbeiter den Erfolg des Vereines nun auch auf dem eigenen Konto sehen sollen. Tabellenplatz, Vermarktungserfolg oder Zuschauerzuspruch sollen fortan – so sich die Dinge denn lukrativ entwickeln – zu Gratifikationen führen. Extrageld also: Nicht schlecht!

Wenn da nicht ein kleiner Schönheitsfehler wäre: Die schöne neue St. Pauli-Welt beinhaltet auch, dass sich die Mitarbeiter gegenseitig anonym bewerten sollen. Wer also immer schon mal den Kollegen vom Schreibtisch gegenüber mobben wollte, weil der schon seit einem halben Jahr nicht den Zwanni berappt, den er erfolglos darauf verwettet hat, das Hünenstürmer Morike Sako mal ein Kopfballtor macht, hat nun freie Bahn. Abwahl durch geheime Abstimmung. Eine Vorgehensweise, bei der gestandene Unternehmensberater die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Der Betriebsrat des FC St. Pauli hat dem allem übrigens zugestimmt. Man kann nur hoffen, dass dem Verein dafür wenigstens Zugeständnisse abgerungen wurden, die dies auch rechtfertigen. Eine schriftlich fixierte Garantie von Präsident Corny Littmann, sich fortan nicht mehr eins, zwei, drei, oberkörperfrei vom DSF interviewen zu lassen, wäre zum Beispiel eine denkbare Möglichkeit. Scherz beiseite.

Die wahre Katastrophe ist, dass dieses Modell den Mitarbeitern Tür und Tor öffnet, die sich anschicken, aus dem Wunsch heraus, das eigene Einkommen zu maximieren, noch skurrilere Marketingmaßnahmen zu ersinnen, als ohnehin schon. Dürfen wir vom FC St. Pauli also demnächst freizügig dekolltierte Promoterinnen erwarten, die auf dem edlen Hamburger Neuen Wall zwischen Prada und Jil Sander Ticketgutscheine an die Oberklasse verteilen?

Die Gefahr dieses neuen Prinzips ist nämlich, dass das Grundkapital des FC St. Pauli das einzigartige Image ist. Und das lässt sich durch keine Kennziffer erfassen und in Tabellen eintragen und fällt entsprechend durch jedes Raster betriebswirtschaftlicher Erhebungen. Das ist ein Gefühl, das man nur durch Verständnis für die Sache, den richtigen Instinkt und die Liebe zu den Idealen des Vereins greifen kann. Das hat auch etwas mit Bodenhaftung zu tun. Einer Bodenhaftung, die anscheinend verlustig gegangen ist in dem Moment, in dem man gerade mal 22 feste Mitarbeiter nicht mehr durch Menschenführung und Einfühlungsvermögen, sondern durch das Aufstülpen eines breit angelegten Optimierungsprogramms motivieren will.

Das Huhn kreiste über der Stange und gebar ein faules Ei.

Kommentare

2 Kommentare zu “Der FC St. Pauli: Vom Pleitegeier zum verrückten Huhn”

  1. Kritiker am 11.21.08 18:18

    1. Image lässt sich erfassen
    2. die BSC ist stark verkürzt dargestellt, damit aus dem Kontext gegriffen und somit falsch dargestellt.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Balanced_Scorecard

  2. Kritiker am 11.21.08 18:20

    Sonst ein schöner Beitrag, nur schlecht recherchiert…
    …dadurch bezüglich der BSC demagogischer Charakter!

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