Bis heute ist der Sport zweigeteilt, in westliche Vereine, die ihre Matches nachholen, und in östliche, die Nachholespiele veranstalten. Warum das so ist? Tja…

Googelt man das Wort Nachholespiel, erhält man mit 6.100 Treffern (die ausschließlich nachgeholte Matches östlicher Vereine betreffen) verhältnismäßig wenig Resultate, vor allem, wenn man in Betracht zieht, dass die Suche nach dem Nachholspiel ohne “e” rund 172.000 Ergebnisse bringt – nachgeholt wird nämlich grundsätzlich im Westen.

Vielleicht handelt es sich beim zusätzlichen “e” ja aber auch nur um eine erlaubte Variante?
Nein.
Der Duden sagt zum Thema Nachholspiel:

1. Nach|hol|spiel, das (Ballspiele): Spiel, das zu einem späteren Zeitpunkt ausgetragen wird, das →nachgeholt wird.

Das Wort Nachholespiel kennt er dagegen nicht:

Suchergebnis für nachholespiel im gesamten Text:
0 Treffer in Duden – Deutsches Universalwörterbuch.

Bleibt die Frage: Warum machen die das? Warum beharrt man von Dynamo Dresden bis hin zum Fachausschuss Kegelsport Annaberg-Buchholz so bockig auf ein “e”, das schlichtweg nicht in das Nachholspiel gehört?

Die Geschichte des Nachholespiels ist zwar bedauerlicherweise noch vollkommen unerforscht, aber das ist natürlich kein Grund, den überflüssigen Buchstaben einfach unerklärt zu lassen:

1. Das Nachholespiel entstand aus Freude am Überfluß
Wie wir alle wissen, herrschte in der DDR Mangelwirtschaft. Wer in einem Autobahnrestaurant jemals versuchte, irgendeinen Softdrink zu bestellen und als einzige Alternative zähflüssigen Rhabarbersaft serviert bekam, weiß, wie schlimm dieser Mangel war.
Einzig Buchstaben gab es im Überfluß, was die armen Menschen, die von morgens bis abends Rhabarbersaft statt ordentlicher Cola trinken trinken mussten, so freute, dass sie die vielen Lettern auch gern sehr großzügig verwendeten. Jedenfalls im Fußball.

2. Das Nachholespiel war Zeichen des Protests gegen das DDR-Regime

Diese These läßt sich ganz einfach verifizieren: Kommt im Wort Sozialismus ein e vor? Nope. Ist im Wort Kommunismus ein e enthalten? Ne. Schreibt man Karl Marx auch nur mit einem einzigen e? Oder den Fortschritt vielleicht? Oder gar die UdSSR? Natürlich nicht.
Und so ist es nicht unwahrscheinlich, dass das e im Nachholespiel von einem Regimegegner ersonnen wurde, der es einfach satt war, zu schweigen und der ein Zeichen setzen wollte. Aus gegebenem Anlass, denn vielleicht musste sein Verein zu einem ursprünglich im Februar angesetzten, dann jedoch wegen massiven Schneefalls abgesetzten Spiel gegen den BFC Dynamo antreten, und der arme Programmheft-Gestalter hatte einfach schon im Vorfeld genug vom ewigen Verpfiffenwerden zugunsten des Hauptstadtclubs, dessen allergrößter Fan Erich Mielke war. Und deswegen beschlossen, diese Ungerechtigkeit öffentlich anzuprangern, wozu sich das eingeschmuggelte “e” aus oben angeführten Gründen eben ganz besonders gut eignete.
Und, wie das in der DDR eben immer so war, aus Schwertern wurden Pflugscharen, sprich: Aus einem e wurden viele. Auch wenn es aufgrund des Mangels an Nachholspielen ein langer, mühseliger Weg war und sich die Buchstaben-Einschmuggler beträchtlichen Gefahren aussetzen, irgendwann war es geschafft: Republikweit sprach man nur noch von Nachhole-Matches, was der Stasi natürlich nicht verborgen blieb, denn Ullbrichts “Überholen ohne einzuholen” kann rückblickend nur als klare Warnung an die Buchstaben-Opposition verstanden werden kann. Bereits damals, in den sechziger Jahren, war es aber zu spät, die e-Bewegung zu stoppen, und so begann der unaufhaltsame Niedergang des Einholestaates.
Möglicherweise. Denn vielleicht war alles auch ganz anders:

3. Das Honecker-E
Erich Honecker pflegte Anordnungen mit einem knappen E. abzuzeichnen. Und war, so berichten verschiedene Quellen, kein großer Fußballfan, was aus Sicht der DDR-Vereinsfunktionäre ein ziemliches Manko gewesen sein muss. Nicht nur aus sportlichen, sondern auch aus ästhetischen Gründen, denn natürlich wäre es rein farblich betrachtet ausgesprochen hübsch gewesen, wenn Honecker regelmäßig auf den Tribünen der Republik zu Gast gewesen wäre und dann auch gleich seine Gattin mitgebracht hätte, deren zartlila getönte Haare wunderschön frühlingshafte Akzente im grauen Liga-Alltag gesetzt hätten.
Margot und Erich gingen aber nicht bzw nur ausgesprochen selten zum Fußball, weswegen man versuchte, den Staatschef und seine Gattin mit dem zusätzlichen „e“ wenigstens für Nachholspiele zu interessieren, für die sich grundsätzlich nicht so viele Leute interessierten, weil zum Zeitpunkt der Neuansetzung der BFC Dynamo sowieso schon als Meister feststand.
Zwei Zuschauer mehr sind zwei Zuschauer mehr, mögen sich die jeweiligen Club-Verantwortlichen überdies damals gedacht haben. Und bevor sich in der kommunikationstechnisch unterentwickelten DDR herumgesprochen hatte, dass E.H. weder zu Nachhol- noch zu Nachholespielen kam, war das Land auch schon aufgelöst. Und das e gleichwohl fest etabliert. Honecker ging übrigens auch in Chile nie zum Fußball, was vielleicht daran liegen könnte, dass im von Bablefish als spanisches Wort für nachholen vorgeschlagenen puesta al día auch ein e drin vorkommt und der Mann einfach genug hatte von diesem Buchstaben. Aber vielleicht fand er Fußball auch immer noch einfach nur langweilig.

Aus welchem Grund er auch immer eingeführt wurde, es wäre nett, wenn der Unfug mit den Nachholespielen endlich aufhören würde. Weils doof klingt und weil Honecker ja doch nicht kommt.

Kommentare

2 Kommentare zu “Das Nachholspiel oder Warum in der DDR nachgeholet wird”

  1. Rainer am 04.11.09 13:05

    Hallo Elke,

    also das mit dem Rhabarbersaft ist ja ein wenig übertrieben, ich trank den nie, denn es gab doch unsere gute Club Cola, die hast du völlig unterschlagen. Also ich trank Club Cola täglich und Rhabarbersaft nie!

    Gruß Rainer

  2. Elke Wittich am 04.11.09 20:45

    Hallo Rainer,

    da hast Du natürlich Recht, aber ich hab wirklich mal erlebt, dass es an einer dieser Raststätten nur noch Rhabarbersaft gab, jaha.
    Und das Zeug war wirklich seeeehr fies 🙂

    Im übrigen kommt in Club Cola auch kein “e” vor, hmmm…

    Liebe Grüße zurück,
    Elke

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