Fußball ist nicht alles, und außerdem gibt es auch noch viele andere schöne Sportarten. Wo allerdings nicht nur andere Regeln, sondern auch ganz andere klimatische Bedingungen herrschen. Vollkommen unpassend angezogen zum Eishockey zu gehen kann eine erstaunliche Erfahrung sein. Geht man dann noch mit einem gelernten BFC Dynamo-Fan zu dem Verein, der mittlerweile Eisbären heißt, landet man in einere ganz eigenen Welt. Die im Grunde ein Dorf ist. Ein nostalgischer Rückblick

Aachen ist berühmt als Welthauptstadt der Printen-Herstellung. Aachen wäre gern berühmte Heimat eines Fußball-Erstligisten. Aachen wird definitiv niemals ein berühmter Eishockey-Standort.
Mit anderen Worten: in Aachen ist es stinkend langweilig. Und wenn man dann noch das Pech hat, in einem Städtchen gleich daneben aufzuwachen, in der noch weniger passiert als in Oche, dann ist es ganz klar, dass man sich irgendwann vom miefigen Kleinstadt-Idyll und dem Jederkenntjeden erdrückt fühlt und ganz weit wegzieht.
Aber: “Du trägst dein Dorf immer mit Dir rum” wussten Family 5 schon in den Achtzigern, und so muss man sich auch nicht wundern, wenn man übersichtliche Gemeindestrukturen auch an den seltsamsten Orten einer Großstadt vorfindet.
Im Eishockey etwa. Irgendwie sollte es beim damaligen Dynamo Eishockey ziemlich lustig sein, hatte irgendwer erzählt, und eine solche Beschreibung genügte der von den Sich-selbst-Ernstnehmern der meisten anderen hauptstädtischen Sportarten restlos ermüdeten Journalistin völlig. Es war wohl ein warmer Spätsommertag im Jahr 1992 oder vielleicht auch ein warmer Frühlingstag, so genau weiß ich das nicht mehr. Dass sich Eishockey klimatisch gesehen in einer völlig anderen Welt abspielt, hatte mir dummerweise niemand vorher gesagt – gäbe es einen Preis für die am unvernünftigsten angezogene Zuschauerin, ich hätte ihn mit Sicherheit überreicht bekommen. “Diese Jacke ist das schönste Kleidungsstück, das ich jemals in meinem Leben gesehen habe” hätte ich in meiner Dankesrede gesagt und dabei nicht mal dann gelogen, wenn das Dings in von mir ansonsten sehr verachteten Farben wie Moosgrün oder Ocker gehalten gewesen wäre. Mir war schließlich so kalt wie es jemandem nur sein kann, der sich in Pumps und kurzem Rock auf eine Antarktis-Expedition aufmacht. Dass ich nicht erfror, lag an R., einem Fotografen, der wesentliche Teile seiner Jugend damit verbracht hatte, dem BFC Dynamo beim Gewinnen zuzuschauen. Er wollte mit, “denn es wäre ja lustig, wenn ich ein paar Leute von früher da treffen würde”.
Das mit den “paar Leuten” sollte sich als typisch R´scher Euphemismus erweisen. Der Kerl kannte ungefähr die Hälfte derjenigen, die sich in der Halle aufhielten. Alle zwei Schritte brach er in ein lautes “Nein, dass ich Dich hier treffe! Wann haben wir uns zuletzt gesehen? Vor zehn Jahren, ungefähr, oder?” aus. Der folgende Erinnerungs- und Lebensgeschichtenaustausch wurde nur kurz durch die Elke-Vorstellung plus den Erwerb von Heißgetränken (“Bist ja eher ungünstig angezogen, frierste nicht? Da, nimm das!”) für das blau angelaufene Wessi unterbrochen.
Im Weggehen kommentierte R. später die überraschende Begegnung je nach Sachlage mit einem “Der ist ja noch genau so doof wie früher” oder mit der Feststellung, dieses Wiedersehen habe ihn nun aber echt gefreut.
Dann stand auch schon die nächste fleischgewordene Erinnerung vor uns – und die Erkenntnis, dass Eishockeyspiele vor allem deswegen so lange dauern, damit die Zuschauer auch ja viel Zeit haben, ihre sozialen Kontakte zu pflegen. Denn nach der Schlusssirene hatte R. wohl ungefähr jedem in der Halle die Hand geschüttelt, die ihm zu Spielbeginn noch unbekannte Hälfte der Fans bestand nämlich zu einem großen Teil aus Ehefrauen, Lebensgefährtinnen oder sonstewie Verwandten seiner Kumpels, und alle, alle waren sie uns vorgestellt worden.
Das war nett, und so fuhren wir dann ziemlich häufig zum Eishockey, um Hände zu schütteln. Natürlich auch um Geld zu verdienen, denn irgendwie passierten bei den Eisdynamos immer lustige Sachen, über die die Welt informiert werden musste.
Ein wenig später schloss sich auch der Spreebär-Carsten unserer beinahe wöchentlichen Hohenschönhausen-Expedition an. Aber das ist eigentlich eine traurige Geschichte, die hier nicht hergehört.
Jedenfalls ging ich jahrelang zum EHC. Bis ich irgendwann mitten in der Nacht an einer roten Ampel in Mitte von mir völlig unbekannten Männern angehalten wurde. Sie sahen böse aus, waren groß und völlig desperat. “Mach die Scheibe runter!”, schrien sie. Nach endlosen Sekunden stellte sich heraus, dass sie nur das EHC-Ergebnis vom vorangegangenen Abend wissen wollten, “du springst da doch immer rum.” Carsten hat damals bis Tempelhof durchgelacht. Ich fühlte mich dagegen wie früher in der Kleinstadt und entschied, vorerst nicht mehr zum Eishockey zu gehen.
Aber so langsam habe ich jetzt doch das Gefühl, dass ich mein Dorf mal wieder besuchen müsste. Um hoffentlich eine ganze Menge Hände zu schütteln.

Dieser Text erschien zuerst im Eisbären-Magazin

Kommentare

1 Kommentar zu “Damals im Dynamo-Dorf, bei den Eisbären”

  1. Daniel Goldstein am 04.25.10 15:21

    Ich hoffe doch Elke, du hast den Text bis zum Ende noch mal durchgelesen, bevor du ihn veröffentlicht hast und dir für August/September/Oktober 2010 etwas ganz fest vorgenommen…

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