Ruhige Sonntage sehen anders aus. Zuerst der Streit um die Eintrittskarten, dann handfeste Auseinandersetzungen zwischen Fans und Polizei, einzig unterbrochen von einem eher lahmen, aber kartenreichen Spiel.

Waren es früher die Stadtderbys zwischen Corinthians und Palmeiras, bei denen die Luft brannte, so sorgt heuer eher das Duell zwischen Arm und Reich, Aufsteiger und Meister, zwischen Corinthians und São Paulo FC für Zündstoff. Nach all den Vorkommnissen der letzten Wochen stand das Spiel am vergangenen Sonntag diesmal unter ganz besonderen Vorzeichen.
Zunächst hatte die Klubführung des São Paulo FC in der vergangenen Woche das alte Abkommen aufgekündigt, dem Gegner Corinthians beim Klassiker im heimischen Morumbi-Stadion die Hälfte der Eintrittskarten zu überlassen, und damit eine polemische Auseinandersetzung in Gang gebracht, die bis zum Spiel anhielt und auch weiterhin noch nicht beendet sein dürfte. Die gleiche Verteilung der Plätze im Stadion bei Klassikern ist Tradition in Brasilien, wird allerdings mehr und mehr abgeschafft. Leider. Denn gerade die Parität der Fangruppen sorgt für eine ganz besondere Stimmung, noch dazu wenn es sich um die gesangfreudige brasilianische Anhängerschaft handelt. In Zukunft wird von den sechs Klassikern in der Staatsmeisterschaft von São Paulo (Spiele zwischen São Paulo FC, Corinthians, Palmeiras und Santos) einzig das Duell zwischen Corinthians und Palmeiras noch mit paritätischer Verteilung der Eintrittskarten bestritten. Aber auch diese Regelung könnte bald der Vergangenheit angehören. Von den 23 landesweiten Klassikern werden immerhin noch neun mit gleichgroßen Fangruppen bestritten, sieben davon zwischen Teams aus Rio de Janeiro im städtischen Maracanã-Stadion. Vor allem die Privatisierung der Arenen und die damit zusammenhängende Kommerzialisierung sorgen dafür, dass die alten Verteilungsregelungen nach und nach verschwinden. Meist wird den Gästeteams nur noch 10 Prozent der Plätze zugestanden – die gesetzliche Mindestanzahl.
So auch vor dem Stadtderby São Paulo FC gegen Corinthians. Während die Entscheidung viel Entrüstung bei den Gästen hervorrief, wurde sie von der Polizei begrüßt. Sie helfe, die Gewalt in den Stadien einzudämmen und erleichtere die Arbeit der Ordnungshüter. Eine nicht ganz richtige Einschätzung, wie sich noch zeigen sollte.
Der am Samstag vor dem Spiel wiedergewählte Corinthians-Präsident Andreas Sanchez kündigte in seiner Antrittsrede dann auch gleich an, mit Corinthians keine Heimspiele mehr im Morumbi-Stadion auszutragen. Für die Partien, für die der Gesetzgeber ein größeres Stadion als das 40,000 Besucher fassende heimische Pacaembu vorschreibe, werde man dann eher in die Provinz ausweichen, als das Stadion von São Paulo FC zu nutzen.
Aber eigentlich hat Sanchez im Moment größere Sorgen. Verbindlichkeiten des Klubs belaufen sich mittlerweile auf rund 100 Millionen Reais (ungefähr 35 Millionen Euro). Wie ernst die Situation mittlerweile ist zeigen die ausstehenden Gehaltszahlungen für einen Großteil der Spieler. Einige äußerten sich bereits unzufrieden in der Presse. Denn auf der einen Seite wurde viel Geld in neue Spieler investiert, das der Klub nicht zu besitzen scheint, zumal der bisher enttäuschende Souza mit 180,000 Reais (rund 61.000 Euro) monatlich zu den Spitzenverdienern gehört. Von Ronaldo, der bisher noch gar kein Spiel bestritten hat und wohl noch bis mindestens Anfang März ausfällt ganz zu schweigen. Er führt mit rund 400.000 Reais im Monat die Gehaltsliste an, auch wenn die Spieler öffentlich betonen, dass ihm niemand dieses Geld neidet. Für den neuen argentinischen Verteidiger Escudero von Argentinos Juniors wurde eine Millionenablöse bezahlt, während die Spieler, die Corinthians zurück in die erste brasilianische Liga schossen, weiter auf ihr Geld warten müssen. Nicht die besten Vorzeichen vor der Partie gegen den aktuellen brasilianischen Meister.
Der trat allerdings aufgrund des in dieser Woche anstehenden Auftakts der südamerikanischen Pendants zur Champions League, der Copa de Libertadores, nicht in Bestbesetzung an. Einige wichtige Spieler wie Miranda, Zé Luis, Hernanes, Jorge Wagner, Borges oder Topangreifer Washington wurden für die Partie am Mittwoch gegen Independiente de Medellín geschont. Bei Corinthians musste der bisherige Toptorschütze Chicão verletzt passen und der schon erwähnte formschwache Souza wurde durch Morais ersetzt, der zusammen mit Jorge Henrique das Sturmduo bei Corinthians bildete.
Vor allem in der ersten Halbzeit kam die Partie jedoch kaum vom Fleck. Zwar hatten die Gastgeber von São Paulo etwas mehr vom Spiel ohne jedoch großartig Chancen zu kreieren. Es entwickelte sich eine zerfahrene Partie mit viel Geplänkel im Mittelfeld; vielen Ballverlusten und Fouls auf beiden Seiten. Ab der 38 Minute waren die Gäste dann nur noch zu zehnt, nachdem Túlio nach einer Schwalbe im Strafraum und einem Kommentar von André Dias eine Tätlichkeit gegen den Verteidiger von São Paulo beging und folgerichtig vom Platz flog.

Nach dem Seitenwechsel, nun mit Souza für Morais, spielte vor allem Corinthians besser und die Partie nahm langsam Fahrt auf. Der erst 18-jährige Boquita, der für Douglas gekommen war, sorgte für Belebung im Mittelfeld und nachdem Wagner Diniz nach einem harten Foul an André Santos seine zweite Gelbe sah und beiden Mannschaften wieder die gleiche Anzahl Spieler auf dem Platz hatten, schien das Pendel Richtung Corinthinas zu schlagen. Doch ein schöner Konter über den eingewechselten Hernanes und Dagoberto, abgeschlossen durch Borges brachte etwas überraschend die Gastgeber 15 Minuten vor Ende vielumjubelt in Führung. Doch ein Zuckerpass von Boquita in den Lauf von André Santos, den dieser abgeklärt abschloss, brachte nur sechs Minuten später den Ausgleich. Weitere sechs Minuten später flog dann der Torschütze allerdings nach einem Allerweltsfoul mit Geld-Rot vom Platz und die Partie endete ohne weitere Chancen mit der Punkteteilung.

Während sich die Offiziellen von Corinthians nach der Partie bitterlich über Schiedsrichter José Henrique de Carvalho beklagten und gar die Ablösung des Chefs der Schiedsrichterkommission, Marcos Marinho, forderten, widerlegten die Anhänger von Corinthians das Argument der Polizei, dass weniger Gästefans für mehr Sicherheit sorgen würden. Schutz vor dem einsetzenden Regen suchend und von der Polizei zurückgehalten, da noch nicht alle Anhänger von São Paulo FC das Stadion verlassen hatten, kam es zu Auseinandersetzungen mit den Ordnungskräften. Die Polizei dagegen sprach von einer selbstgebastelten Bombe, die die Tumulte ausgelöst habe. 31 Personen wurden festgenommen, mindestens eben so viele verletzt. Die Direktive von Corinthinas dagegen lobte in einer Stellungnahme das vorbildliche Verhalten der eigenen Fans und auch der Polizei und machte die Anhängerschaft des Gegners für die Bomben verantwortlich. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis sich das Verhältnis beider Klubs wieder normalisiert.

Von Andreas Knobloch, São Paulo

Resultate und Tabellen, siehe: www.futebolnarede.com/campeonato-paulista.php

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