Von Büchern und Filmen ist es gesellschaftlich anerkannt, daß es solche gibt, die das Leben verändern, die einen hinterher Dinge anders sehen lassen als vorher.
Wenn man ähnliches von Computerspielen sagt, dann gibt man sich in ungeeigneter Runde der Lächerlichkeit preis.
Und doch, es gibt sie diese Momente, die einem nie aus dem Kopf gehen.

Vielleicht liegt es an der Wesensverwandtschaft zum Buch, reich an solchen Momenten sind jedenfalls die Textadventures der Firma Infocom.
Eigentlich sollte es hier auch lediglich einen Text eben darüber geben und dann kam das Gefühl ein wenig ausholen zu müssen…
Alle Teile dieser Serie waren also nur ein bißchen weit ausgeholt auf dem Weg zum Textadventure…
Es symbolisiert nämlich das Thema so gut, die totale Verweigerung allen neumodischen Schnickschnacks. Begonnen hat es damit allerdings schon bei der völlig überschätzten Einführung der lästigen Graphik und schaffte dadurch Raum für die grenzenlose Welt der Phantasie.

Kommen wir zu einem der berühmesten Beginne der Computerspielgeschichte.
“Ilsebill salzte nach”. Vor kurzem wurde dieser Satz von der Initiative Deutsche Sprache und der Stiftung Lesen zum schönsten ersten Satz eines deutschen Romans gekürt.
Würde ähnliches bei den Computerspielen gemacht werden, hätte:
“You are standing in an open field west of a white house, with a boarded front door.” beste Chancen auf den Titel.

Zuerst schenkte sich Infocom mal jedes Intro- oder Vorspanngedöns.
So begrüsst einen 1980 ihr erstes Spiel:

ZORK: The Great Underground Empire – Part I
Copyright (c) 1980 by Infocom, Inc. All rights reserved.
ZORK is a trademark of Infocom, Inc.

West of House
You are standing in an open field west of a white house, with a boarded front door.
There is a small mailbox here.
>

Das wirkt nicht unbedingt einladend und doch ist es der Beginn von etwas großem, von Zork und von Infocom!
Die Einladung steht schon da: “>
Die Aufforderung zur Eingabe, zum Schritt in die Geschichte, ins Abenteuer. Ein Gefühl wie bei einem Kind beim Aufschlagen des Buchdeckels eines großen Abenteuerromans oder bei einem Erwachsenen, der das Indiana Jones Musikthema hört…oder auf der Leinwand einen riesigen Sternenzerstörer sich ins Bild schieben sieht…

Und der erste Hinweis ist auch schon da: “There is a small mailbox here.” Völlig abenteuerresistent, wer hier nicht schnell “open mailbox” getippt hat und schon ist man mittendrin…

Wie groß es ist was hier beginnt, das weiß man wenn man am Ende von Zork III angelangt ist.
For a moment you are relieved, safe in the knowledge that you have at last completed your quest in ZORK. You begin to feel the vast powers and lore at your command and thirst for an opportunity to use them.”

Selten war das Ende eines Spiels so befriedigend und kein aufwendiges Outro kann hier mithalten, denn immer noch läuft zu diesem Zeitpunkt der Film im Kopf ab und kommt zu einem imposanten, unglaublich farbigen Ende.

Wie gross nicht nur Zork war, sondern auch das Werk von Infocom, die beide so unscheinbar begannen, das konnte man noch nicht nach einer Trilogie, sondern nach 10 Jahren mit über 30 phantastischen Spielen ermessen.

Die Firma Infocom bestand von 1979 bis 1989, danach war sie nur noch lediglich ein Label im Besitz von Activision.
Der Name wirkt erstaunlich unpassend für einen Spieleentwickler, der im wahrsten Sinne so zauberhafte Spiele voller Phantasie kreiert hat, nur ursprünglich plante man auch ernsthaft Bürosoftware zu schreiben.
Dieser Traum ging dann doch noch in Erfüllung, als man mit “Cornerstone” 1985 eine tatsächlich ausgesprochen gute Datenbank-Software veröffentlichte. Sie konnte sich aber am Markt nicht durchsetzen wurde zum finanziellen Desaster und kostete die Unabhängigkeit. Der Aufkauf durch Activision folgte 1986. Schliesslich wurden 1989 die letzten Infocom-Autoren entlassen und der Name lediglich als Label weitergeführt.

Wer sich für die ausführliche Geschichte von Infocom interessiert, der findet hier eigentlich alles, was man sich wünscht: http://www.infocom-if.org/

In ihrer Zeit schrieben die Autoren von Infocom über 30 großartige Adventure.

Später experimentierte man auch mit ein bißchen Graphik, ein bißchen Rollenspiel, ein bißchen “Digitalem Infocomic”, ausserdem gab es von den Autoren auch noch ein paar Romane und Decision Books.

Vielleicht liegt es an der totalen Entschleunigung, der konsequenten Beschränkung, daß das Spielen ein so anachronistisch wundervolles Erlebnis ist. Es ist ein so völlig anderes Spielen als das hektische “Zocken”, passt eher zu Tee und Keksen als zu Cola und Chips.

Das Computerspiel-Adventure an sich ist schon “lediglich” eine Geschichte mit Oberfläche, das Textadventure kommt ohne solche aus.
Aktuelle Mainstreamspiele aller anderen Genres bleiben schlichte Oberfläche, diese ist perfekt, makellos, wie das Gesicht von Models in Zeitschriften, deren Photos in mehreren Arbeitsgängen bis zur Unwirklichkeit bearbeitet wurden, bis sie letztlich und ehrlich nicht schön, nicht interessant und schon garnicht charismatisch, eben einfach nur noch makellos sind.
Und wenn wir von der Optik sprechen:
Was ist makellos anderes als charakterlos?

Oberfläche steht im Zentrum des öffentlichen Seins.

Alte Computerspiele leisteten sich auch mal eine schrundige Oberfläche, Textadventure sogar den völligen Verzicht darauf, eine liebenswerte Leckmich-Attitude.

Das Bonmot vom Gehirn als der besten denkbaren Graphikkarte, das hat wohl erstmals Infocom als Anzeigenmotiv verwendet.

Was ist das Textadventure also letztlich anderes als ein Buch?
Was unterscheidet es von den Decision Books, in denen man abschnittweise über den weiteren Forgang entscheidet?

Der Gipfel der Beschränkung stellen die Textadventures dar, Spiele ohne Graphik ohne Ton, nur Text.
Da könnte man ja gleich ein Buch lesen, mag jetzt der ein oder andere empört ausrufen und ich bin geneigt zu antworten: eben!

Denn das schadet nie, wobei einem etwa Zork zwar nicht wirklich mehr Freiheit lässt, allenfalls zu scheitern, aber schon dies ist beim Lesen eines Buches vorgegeben.

Die Textadventures  lassen uns nicht einfach nur die Geschichte verfolgen, sondern  an ihr teilnehmen, sie  noch etwas mehr erleben.
Denn damit sind wir wieder am Ausgangspunkt dessen, was Spielen im Kern bedeutet, nämlich der Phantasie freien Lauf zu lassen.

Bei Buch und Textadventure entstehen die Bilder aber gleichermassen alleine im eigenen Kopf, der “Film” ist so gut, man es eben selbst versteht ihn dort zu formen.

Die Spiele der Firma Infocom sind ausgesprochen literarisch. Immer wieder freut man sich über die ausserordentlich farbigen schönen Beschreibungen.

Jetzt etwas schwer nachvollziebahres: Wir sollten die Schönheit, auch die Schönheit des Graphischen eines Schriftbildes wieder zu erkennen lernen.
Ein Abschweifen sei erlaubt. Die eBooks sollen also gegenwärtig wieder einmal The Next Big Thing werden…
In den 80er Jahren schon faselten die gestörten unter den EDV-Enthusiasten etwas vom angeblichen `Totsein des Gedruckten´.
Nicht nur der haptische Genuss beim Lesen eines Buches, der Deckel, die Seiten, das Blättern, das Knistern, die Struktur usw. kann nicht auf digitalem Wege imitiert werden, auch das Schriftbild, die Typographie sind Bestandteil des Bucherlebnisses und die ist, gedruckt auf Papier, so eigen, daß sie in digitaler Form niemals deren Qualität erreichen wird.

Nun gut, nun ist das Textadventure immer noch kein Buch und folglich kann es all diese Dinge nicht für sich in Anspruch nehmen, aber es ist vielmehr als alles andere die legitime Fortsetzung der Geschichte des Buches im Digitalen.
Ein Schande ist es, Bücher in die Elektronik zu pressen und zu meinen, man könne sie von dort widerlesen.
Das Textadventure ist jedoch eine eigene Kunst- und Spielform und nimmt insofern direkt Bezug auf seine eigene Tradition, auf sein Entstehen aus dem Buch.

Wenn man die Entwicklung des Adventures nachspüren möchte, dann ist dies evtl. die richtige Vorgehensweise:

DIe Kunstgeschichte des Computerspiel-Adventures

1972/1976 The Colossal Cave Adventure
Hiermit begann alles, was auf dem Computer Adventure ist.

1979-1989 Infocom
“The Master Storytellers”, wie es die Eigenwerbung auf mehrern Werbebroschüren versprach und heute von Fanseitenbetreibern als Zusammenfassung des Werkes gerne aufgegriffen wird.

1984- ? [ca.1990] Magnetic Scrolls
Wunderschöne Adventure, lediglich sieben an der Zahl, die gute Geschichten mit wunderschönen [Stand-]Bildern kombinierten und die Bedienung sowie Optik etwas zugänglicher gestalteten.

1989-1998[2003] Legend Entertainment
Gegründet von ehemaligen Infocom-Autoren, die noch einmal eine ganze Reihe großartiger Adventure ganz im literarisch anspruchsvollen Stil der Infocom-Adventure veröffentlichten, jedoch mit Bildern illustriert und zunächst mit Befehlsmenü, später auch im Point and Click System.

Herausragend unter anderem: “Eric the Unready”, hier gibt es auch ein Wiedersehen mit jenem “white house”, das das erste war, was wir in Zork sahen.

1979- [heute, irgendwie!]  Sierra On-line

eigentlich waren die Adventure von Sierra nie so richtig! gut, wie die von z.B. Lucas Arts, aber sie haben ihren festen Platz in dieser Kunstgeschichte.

z.B. Space Quest, Leisure Suit Larry, Gabriel Knight-Sins of the Father

Interessant ist dabei noch die anfänglich eigenartige Mischung aus zwar graphischem Adventure aber Befehlseingabe über die Tastatur

1982- [heute, dabei aber die Welt der Adventure schmählich im Stich gelassen!] Lucas Arts

Alle Adventure waren großartig und alle herausstechend, es begann 1987 mit Maniac Mansion und ging dann immer so weiter mit Zak McKracken den Monkey-Isalnd-Spielen Indiana  Jones III und IV, Day of the Tentacle, Sam & Max, The Dig, Grim Fandango, alles wunderschön, alles spielenswert!

1996+1997 Baphomets Fluch/Broken Sword I+II

Zwei sehr schöne und liebenswerte 2D-Adventure, die später zwei mittelmässige Fortsetzungen in 3D erfuhren, gerade vor zwei Tagen aber auch die Veröffentlichung einer Fan-Fortsetzung: Baphomets Fluch 2.5

Seit 2000

Mit beispielsweise Black Mirror, The Moment of Silence oder der Ankh-Serie wären wir dann im Jetzt angekommen, wo man den zwischenzeitlichen Tod der Adventures glücklicherweise als tragischen Irrtum erkannt und wieder begonnen hat, welche zu entwickeln.

Das Computerspiel ist inzwischen ein Kulturgut, um Infocom-Adventure spielen zu können muß man sich ganz schön strecken.
Zwar gibt es viele von den Spielen auf den Abandonwareseiten, längst leider nicht alle, lediglich ein zwei drei Privatseiten wird allerdings die Konservierung der beigelegten Anleitungen Romane Feelies usw. überlassen.

Einen zweiten Teil über Infocom könnte geschrieben werden, wenn man sich mit der liebevollen schönen Gestaltung des Begleitmaterials der Spiele beschäftigen wollte.

Das Erlebnis Infocom-Adventure wird tatsächlich erst komplett wenn man das beim Spielen um sich ausbreitet, liest, geniesst und die Hinweise auf Lösungen daraus erkennt.

Die letzten Veröffentlichungen des Rechteinhabers Activision waren in dieser Hinsicht ausgesprochen lieblos, so lieblos, daß man bei der letzten veröffentlichten grossen Zork-Anthologie in Prachtverpackung zur Bewerbung des aktuellen charakterlosen Epigonen die alten Zorkspiele lediglich mit einer schlecht kopierten Karte ohne jedes kleine Teil des legendären Begleitmaterials mit hineinwarf, dabei aber unachtsamerweise eine ganze Reihe weiterer Originalspiele in einem Unterverzeichnis der CD unkommentiert und offensichtlich unbemerkt mit dazu packte.

Das positivste was man in diesem Zusammenhang über Activision sagen kann, daß sie den Betreibern von Fan- und Abandonwareseiten offensichtlich keineerlei Steine in den Weg legen und bei Anfragen im Bezug auf Infocom-Adventure schon ohne Umschweife auf diese verwiesen haben.

Dabei fragt man sich hier wie bei anderen Firmen, was denn eigentlich gegen eine “Games on Demand” Variante sprechen würde, bei der man auch heute noch die Spiele incl. Artworks und kompletten Begleitmaterial digitalisiert zu einem kleinen Preis beziehen könnte?

Das Computerspiel ist als Kulturgut anerkannt, wir sollten beginnen es als solches zu behandeln, wozu ganz entschieden und grundsätzlich gehört, die verschiedenen Epochen zu würdigen.
Es ist dieses Jahr evtl. 50 Jahre alt, siehe Pong. Es ist vielleicht auch nur 25 Jahre alt. Allein schon diese Frage ist nicht abschliessend geklärt und erforscht!
Die Kunstgeschichte des Computerspiels zu entdecken ist überfällig, die Kunstwerke der Vergangenheit, die Meilensteine auf dem Weg zum Heute sollten erlebbar sein und bleiben, kaufbar und ganz im Gegensatz zur klassischen Kunst: spielbar.

Kommentare

1 Kommentar zu “Computerspiele – Teil 6 – Ende”

  1. sauzwerg am 10.06.08 10:51

    so lang der Text und doch noch nichts geschrieben über die meditativ entspannende Wirkung vom Kartenzeichnen oder den Kunstwerken, die bei manchen Menschen daraus entstanden und im unangemessen unscheinbaren Rahmen von Hilfeseiten in Spielezeitschriften veröffentlicht wurden.

    Was fehlt: Eine Ausstellung von handgezeichneten allgemeine Computerspiel- und speziell Adventurekarten!

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