Aber was ist denn nun mit den wirklich innovativen Spielen unserer Zeit? Die Sims beispielsweise wurden von den meisten Spielern und zusätzlich sogar zunehmend von Spielerinnen als etwas fundamental neues empfunden, zahllose Menschen liessen sich schon vor den Computer locken, die daran vorher nicht gedacht hätten.
Dabei basieren die Sims auf einer Idee aus der Computersteinzeit und sind außerdem lediglich eine konsequente Fortentwicklung einer langen Reihe von Sim-Spielen des Spieleentwicklers Maxis bzw. des Designers Will Wright.


Dieser Will Wright wird in Kürze wieder einmal von sich reden machen aufgrund seines bald erscheinenden Spiels “Spore”, in welchem nicht wenige die nächste Spielrevolution sehen.
Die Revolution muß aber leider ein weiteres Mal wegen Mangel an umstürzlerischer Substanz abgesagt werden, die Grundidee von “Spore” ist, so schön das auch umgesetzt zu werden droht, wiederum lediglich eine Kombination aus mehreren alten Spielen, in diesem Fall denen der, eigenen, Sim-Serie.

Schauen wir zurück:
Es begann alles mit SimCity, 1989 erschienen, das uns nicht weniger als eine Stadt bauen und sie verwalten liess. Ein Traum wurde wahr, für all jene, denen die Legosteine nie reichten bei der Verwirklichung der eigenen Vorstellungen von Stadtplanung und Umlandgestaltung und denen die dazugehörigen Männchen immer schon selbständig zuwenig kriminelle Energie, Drang zum Individualverkehr und überhaupt zuwenig Leidenschaft in den Dingen des täglichen urbanen Lebens aufbrachten.
“Eine völlig neue Spielidee” jubelte man in der “PowerPlay” seinerzeit und hatte damals sogar recht damit.
Eine ganze komplexe kleine Welt ausgeliefert des Spielers Allmachtsphantasien.

Wir entschieden, ob die damals noch unsichtbaren aber bereits “Sims” genannten Bewohner mit öffentlichen Verkehrsmitteln fuhren oder in Staus standen, die Zwangsläufigkeit zweifellos pädagogisch, ob ihr Strom von Atom-, Kohle- oder, der damalige Gipfel der Umwelttechnologie im Spiel, Gaskraftwerken produziert wurde.
Wir bauten Städte aus Wohnsilos oder locker zwischen Fluss und Parks verteilten Villenvierteln, arrangierten Polizeireviere, daß es eine polizeistaatliche Pracht war und sparten dann an der Feuerwehr, denn das Geld war immer knapp, bis man gelernt hatte sich die Bugs zunutze zu machen, um wenig später unsere Stadt im Flammenmeer nach dem Kraftwerksunfall untergehen zu sehen.
Wenn alles gut ging und wir uns darum zu langweilen begannen, dann stellten wir die Stadt eben einfach mit einer pulldownmenuegemachten Naturkatastrophe auf die Probe, eine Flut war ebenso möglich wie “Godzilla” oder der Kernkraftwerks-GAU.
Die Sims standen schon damals jederzeit mit ihrem Leben bereit zu unserer Unterhaltung.
Wir hatten endlich einfach das Sandkastenmodell einer kleinen Welt zu unserer freien Verfügung, von dem wir beim Städtebau mit Lego schon immer geträumt hatten.
Es folgten 1993 Sim City 2000, 1999 Sim City 3000 und 2003 Sim City 4.

Zwischendurch widmete man sich bei Maxis und Mr. Wright aber noch anderen Lebenssimulationen oder auch “Sandkastenspielen”.
Bereits 1990 kam Sim Earth heraus, welches einen mit Ökosystemen und dem Klima spielen liess und logisch folgerichtig 1992 “Sim Life”, bei dem die spielerische Manipulation bis in die Gene hinein möglich war, die Spielanleitungen damals übrigens noch buchdick und nicht frei von den real existierenden biologischen Hintergründen.
Gerade in diesen beiden Spielen sind wohl die Grosseltern jenes Next Big Thing “Spore” zu sehen.

Sim Ant und Sim Farm waren kauzig glänzende Ableger der grossartigen Serie, später sollten dann aber auch noch ein paar unausgegorene schwächere Fremdentwicklungen mit dem angesehenen und gewinnträchtigen “Sim”-Titelzusatz versehen werden.

Wie bereits angedeutet, geht die Grundidee aber auf ein noch älteres Spiel zurück.
Die Sims basieren auf einer Idee aus der Computersteinzeit, auf derselben wie die “Little Computer People” von 1985.

Deren Neuartigkeit lässt sich durch den Blick in ein zeitgenössisches Computermagazin ermessen.
Die Lektüre von alten Spielemagazinen entfaltet heute übrigens einen damals noch völlig unerwarteten besonderen Charme.
Es ist wie mit der Tagesschau von vor zwanzig Jahren, die auf den dritten Programmen gezeigt und durch ungenügende Kennzeichnung vom fahrigem Zapper auf der Flucht häufig mit allerlei je nach Filmbeitrag in dem man gerade landet, frei assoziierbarem Abwegigem verwechselt wird.
Nichts liegt sperriger im Weg als heute versendete Nachrichten, gemacht zur Information von Menschen einer völlig anderen Zeit und schwerer im verstörten ästhetischen Empfinden als Kombinationen aus Krawatten und Einstecktüchern von Nachrichtensprechern vergangener Jahrzehnte.

Spannender noch als eine heutige Beschreibung der Vergangenheit ist eine zeitgenössische, die einer kleinen Zeitkapsel gleich, nicht lange das Damals zu erklären versucht, sondern einen direkt dorthin mitnimmt.
Man erkennt ganz ohne Hintergrundinformationen, was Menschen damals wichtig und was noch schlicht unbekannt war, was ihnen vertraut war und was neu, welche Zukunft sie erwarteten und wir wissen welche sie bekamen, nämlich unsere Gegenwart, was zu einer bizarren Form der Schadenfreude führen kann.

Fundierte Äusserungen der Gewissheit, daß das Betamax das VHS-System hinwegfegen, BTX die Zukunft gehören oder “Die Computer der Zukunft vielleicht nur noch 1,5 Tonnen wiegen” würden, wie die Zeitschrift Popular Mechanics 1949 spekulierte, lassen schmunzeln.

1986 schreibt die ASM über die Little Computer People:
“Activision ist mit Little Computer People ein wahres Meisterwerk gelungen! Die Spiel-Idee ist neu, die Ausführung brillant und die Story einzigartig! […] Kein Spiel zuvor hatte in unseren Augen einen solch hohen Spielwert, kein Spiel barg aber auch gleichzeitig die Möglichkeiten erlebbarer Grausamkeiten. Es ist sicherlich das bemerkenswerteste Spiel, das wir je sahen. Aber es ist sicherlich nicht unumstritten!”

Heute wirkt das sicherlich ein wenig arglos, angesichts dessen was man inzwischen auf üblicherweise besorgter Kritiker- und Pädagogenseite täglich an nicht unumstrittener Grausamkeit im Computerspiel auszumachen verpflichtet ist, aber es ist schon richtig, daß das Schicksal dieses kleinen einem anvertrauten Pixelgesellen uns viel bedeutender erschien, als das von Shooterstatisten heute.
Mit diesem einen Vertreter der Computerpeople konnte man sich sogar unterhalten, mit ihm Karten spielen und auf einer Schreibmaschine tippend teilte er uns sogar seine Gedanken mit oder spielte uns etwas auf seinem Dachgeschossklavier vor, diese wohlig faulen Sonntagnachmittage gemeinsam in seinem digitalen Heim verbracht, das verband uns…das liess uns sogar körperliche Vertraulichkeiten austauschen, per richtiger Tastenkombination konnte man ihn in seinem Sessel mit einer aus der Wand ausfahrbaren Teleskophand im Nacken kraulen…alles was er in seinem Haus hatte, das gab es auch in unserem, warum nur nicht diese freundliche Teleskophand…?

Die Little Computer Peopla hatten bereits den Puppenhauscharme der Sims in seiner reinsten Form,

ein Haus, einem Barbiedomizil bis auf die geschmackvollere Einrichtung der Computermenschen zum Verwechseln ähnlich aufgeschnitten in 2D, darin ein Computerbewohner und sein Hund, der übrigens hässlich ist…sehr hässlich…und die Treppe seitlich hinaufläuft…irgendwie krebsartig…ich habe diesem Hund immer schon mißtraut…

Die “Happy Computer” urteilte damals:

“Das Programm mit der ungewöhnlich faszinierenden Handlung steht jenseits von allen Computerspielen. Ob es Spaß macht, hängt davon ab, ob man genug Geduld und Neugier aufbringt, um die Gewohnheiten des Computer-Männchens zu beobachten und zu versuchen, es dabei zu beeinflussen.”

Da wurde den Little Computer Peoplen, tausendmal im Englischunterricht doziert, die Mehrzahl von People ist nicht Peoples, denn das sind Völker, gleich völlig der Charakter eines Spiels abgesprochen, beinahe ehrfürchtig ernsthaft machte man sich die hübsche Legende der Anleitung vom “Forschungsprojekt” zu eigen.
Als Tribut an diese Ernsthaftigkeit sei mir der Hinweis gestattet:
He,She,It, das S muß mit!
Eine Schande, das es die Little Computer People niemals der Steinlaus gleich in den “Pschyrembel” geschafft haben.

Um genau zu sein, handelte es sich nämlich garnicht um ein Spiel, es war eine wissenschaftliche Software,

die das Innenleben des Computers sichtbar machte, und dort lebte nun einmal ein kleiner Mensch mit seinem Hund, einem hässlichen Hund…einem Hund der die Treppen wie ein Krebs hinaufsteigt… und ganz eigenen Vorstellungen von Selbstbestimmung, Musik und Hygiene.
Schliesslich wollten wir damals Hacker oder Cracker sein. Ein Spiel, daß uns einen tieferen Zugang zur Technik vorgaukelte, nein, ich denke auch nicht, daß wirklich viele Menschen daran geglaubt haben, das bezog trotzdem bereits daraus einen guten Teil der Faszination.

Nicht zuletzt der Film Wargames von 1983 hatte unser Bild vom Hacker geprägt, Akkustikkoppler, 8 Zoll Disketten, mystisch wirkende Elektronik und rein in den CIA-Computer, Thermonuklearen Krieg spielen.
Auch dieser Zauber ist heute verflogen, die Technik, der Datenfernübertragung, der Netzwerke steht inzwischen auch unseren Grosseltern zur Verfügung, die Maschinen sind formschön, setzen zu ihrer Benutzung nicht die kleinste Idee von Know How voraus und nicht der freie Verkehr von Ideen und Kreativität oder sogar Subversivität sind der Hauptinhalt, sondern Porno und Shoppen!

Wenn wir bei der Lebenssimulation an sich sind, dann ist sicherlich noch “Alter Ego”, ebenfalls von 1985, erwähnens- und sicherlich mehr wert als einen Nebensatz, ob der bereits fortgeschrittenen Textlänge und unserer immer weiter abnehmenden allgemeinen Aufmerksamkeitsspanne allerdings davon vielleicht mehr ein anderes Mal.
Das Spiel gab es übrigens seinerzeit in einer Ausgabe für Männer und in einer für Frauen. Es stellte sich also noch in diesem Aspekt als wegweisend heraus, es hatte bereits die SpielerIn entdeckt und richtete sich sogar mit einem eigens programmierten Produkt an sie, inhaltlich und ohne Rosa und ohne Hello Kitty.

Schliesslich muß man sagen, daß die Idee noch viel älter ist, als jeder auch vergessenste Heimcomputer der 8 Bit-Ära. Sie wurde geboren in den Sandkästen und Kinderzimmern diese Welt, in der ein paar schräge umtriebige kleine Menschen mit grossen Ideen und grenzenloser Phantasie schon immer den Wunsch hatten ein kleines bißchen Gott über eine eigene Welt zu spielen, in der Mama und Papa nix zu sagen haben.

Um den roten Faden der Serie zum Abschluss wieder zu ergreifen:
Keines der erwähnten Spiele, alles Meilensteine der Computerspielkulturgeschichte, lässt sich in heute noch in einem Geschäft kaufen.

Kommentare

2 Kommentare zu “Computerspiele – Teil 4”

  1. Sauzwerg am 09.05.08 14:31
  2. Compterspiele-Zukunft » Blog Archive » Re: Phoning Home? - Deutsche Computerspiele-Branche sucht de… am 09.16.08 04:02

    […] kanns nicht auf’m Notebook installieren. Oder ganz > ohne Internetanschluss. Ich spiele seitdem mit einer gecrackten Version, die ebenfalls abgeklemmt läuft. Ich weiss nicht, ob der […]

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