Jun
17
Heute Abend, im Spiel gegen Frankreich, könnte, dürfte und sollte Italien aus der Europameisterschaft ausscheiden. Das ist gut für den Fußball.
Der amtierende Fußballweltmeister heißt Italien. Das ist für den Weltfußball schlimmer als der Umstand, dass der amtierende Europameister Griechenland heißt.
Man muss gar nicht auf den großen Manipulationsskandal rund um Juventus Turin verweisen, um zu bemerken, dass beinah alles, was den internationalen Fußball in den letzten zwei Jahrzehnten besser, moderner und kulturell wertvoller gemacht hat, an der Serie A vorbeigegangen ist. Der italienische Fußball präsentiert sich so zeitlos schön wie Silvio Berlusconis Gesicht: Alles, was halbwegs ansehnlich ist, hat verdammt viel Geld gekostet.
Einerseits kicken in der Serie A, gerade bei den reichen Spitzenklubs Inter Mailand, Juventus Turin und AC Milan, viele Ausländer. Über den Schweden Zlatan Ibrahimovic war erst jüngst zu lesen, er werde mit einem Gehalt von zwölf Millionen Euro pro Saison zum bestbezahlten Spieler der Welt.
Andererseits findet sich in der Squadra Azzurra kein Kicker mit etwas, das man in Deutschland neuerdings migrantischen Hintergrund nennt.
Was ihren Unwillen angeht, zu akzeptieren, eine Einwanderungsgesellschaft zu sein, unterscheidet sich Italien kaum von Deutschland. Und will man diesen Umstand im Fußball illustriert wissen, dann hat Italien das scheinbar unmögliche geschafft: Deutschland zu toppen.
In Deutschland bedurfte es der tiefen Krise der Nationalmannschaft von 1998 – Viertelfinalausscheiden bei der WM, während Frankreich mit seiner l’equipe multiculturelle Weltmeister wurde -, damit mit Mustafa Dogan 1999 erstmals ein Spieler, dessen Herkunft, anders als bei Mehmet Scholl, auch kulturell türkisch geprägt war, im DFB-Trikot auflaufen durfte.
Die italienische Nationalmannschaft hat eine solche Krise nie durchlaufen, und dass die Serie A in den letzten zwei, drei Jahren mit dem Zwangsabstieg von Juventus Turin, Lazio Rom und AC Florenz sowie der Aberkennung zweier Juve-Meistertitel letztlich viel bewirkt habe, kann man leider nicht behaupten.
Mit Juve, mit Inter und dem ihm auch gehörenden AC Milan ist es wie mit Silvio Berlusconi: Lernen tun die schon deswegen nichts, weil ihnen der Erfolg ja immer Recht gibt.
Was den Fußball betrifft, so liegt das am großen Talentpool, der es den norditalienischen Spitzenklubs in ihrer geballten Arroganz ermöglicht, sogar süditalienische Talente, wenn sie nicht gerade Fabio Cannavaro oder Antonio di Natale heißen, zu ignorieren. Und Berlusconis Position gleicht der von Juve, Inter und AC: Seine wie deren Macht fußt nicht auf nationalen Wahlen oder nationalen Meisterschaften. Wie tief verankert diese Macht ist, verrät Berlusconis eingefrästes Lächeln.
Martin Krauß
Der Text wurde geschrieben für die “Kaiserschmarrn”-Euro-Kolumne von Carpeberlin.de
Kommentare
3 Kommentare zu “ciao bella”
Lieber Martin
Folgende Aussage möchte ich gerne richtig stellen:
“Andererseits findet sich in der Squadra Azzurra kein Kicker mit etwas, das man in Deutschland neuerdings migrantischen Hintergrund nennt.”
Auch wenn er italienische Vorfahren hat (Grosseltern) und einen italienischen Pass besitzt (logischerweise…), so ist Mauro Camoranesi doch gebürtiger Argentinier. Erst im Jahr 2000 ist er von CD Cruz Azul (Mexiko) nach Italien zu Hellas Verona gewechselt. Per Definition hat also zumindest ein Spieler der aktuellen Squadra Azzurra einen migrantischen Hintergrund.
Für weitere Informationen einfach Stefano Fiore fragen:
http://www.kicker.de/news/fussball/em/startseite/artikel/300282
Beste Grüsse, Christian
Lieber Christian,
ja, du hast Recht. Naturalisierte Argentinier hat es im italienischen Fußball oft gegeben. Aber erstaunlicherweise immer nur Argentinier, Argentinier, Argentinier. Nie Spieler aus Ländern, aus denen Arbeits- oder Armutsmigranten kommen, nicht aus Afrika, nicht aus dem früheren Rumänien etc.
Beste Grüße
Martin
Man soll nicht etwas anderes lesen, während man schreibt: Da wo Rumänien steht, soll natürlich Jugoslawien stehen!