Casting für den Kader

von Boris Mayer

Stadien tragen wieder schlicht die Namen ihrer Clubs, und die Ticketkäufer müssen angeworben werden: In der US-amerikanischen National Football League macht sich zum Saisonstart die Krise bemerkbar.

Die neue Saison der National Football League (NFL) kann beginnen. Die Trainingslager sind absolviert, die Vorbereitungsspiele sind gespielt, und die alljährliche Reduktion der Kader der einzelnen Clubs auf die erlaubten 53 Spieler für die neue Spielzeit hat stattgefunden.

So weit ist im American Football also alles wie immer. Doch diese Saison ist eine ganz besondere, und das nicht nur, weil die Weltwirtschaftskrise sich natürlich auch auf die beliebteste amerikanische Sportart auswirkt. Es ist außerdem die letzte Saison unter dem alten Collective Bargain Agreement (CBA). Das CBA steht für den Salary Cap, eine einvernehmlich festgelegte Höchstgrenze der Summe, die jeder Club für seine Spieler ausgeben darf. Mit dem Salary Cap, also der Einkommensbegrenzung, wurde in der NFL bislang dafür gesorgt, dass die Teams relativ gleiche Chancen haben – das ist nicht unwichtig in einem Ligensystem, das weder Auf- noch Absteiger kennt.

Bald läuft die Regelung aus, und als Folge droht in der Saison des Jahres 2010 ein Spielerstreik oder gar eine Aussperrung der Spieler durch die Clubbesitzer, sollte keine Einigung über eine neue Regelung erreicht werden.

In der jetzt beginnenden Spielzeit sind dagegen zunächst die Spieler das große Thema, schließlich sind manche bekannten Spieler überraschenderweise immer noch, wieder oder, trotz großer Medienpräsenz, nicht mehr zu ­sehen.

Wieder da ist Michael Vick. Der wegen illegaler Hundekämpfe zu 23 Monaten Gefängnis verurteilte ehemalige Star-Quarterback der Atlanta Falcons hat nach dem Absitzen seiner Strafe ein neues Team gefunden, die Philadelphia Eagles. Vick war 2001 als erster Spieler in der ersten Runde gedraftet worden und hält nach sechs Spielzeiten in Atlanta fünf NFL-Rekorde für Quarterbacks, die sich jedoch alle auf das Laufspiel beziehen.

Zwar hat er noch eine Sperre von drei Spielen abzusitzen, aber die Footballexperten sind sich einig, dass er zu talentiert ist, um lange ein Ersatzquarterback zu bleiben. Das wiederum sind schlechte Nachrichten für Donovan McNabb, der in den vergangenen zehn Jahren der Quarterback der Eagles war und mittlerweile immer häufiger in der Kritik steht.

Immer noch da ist Brett Favre. Favre erklärte nach der vorigen Saison seinen Rücktritt – wie auch schon nach der Saison 2007. Zwar war der Abschied diesmal nicht so tränenreich, lassen kann es Favre aber offensichtlich dennoch nicht, und so folgte auf den zweiten Rücktritt auch der zweite Rücktritt vom Rücktritt. Nun beginnt für ihn also mittlerweile die 19. Saison als Profi, die erste als Quarterback der Minnesota Vikings, nach einer Karriere mit einer Saison in Atlanta, 16 bei den Green Bay Packers und einer Saison für die New York Jets.

Favre hält alle wichtigen Rekorde für Quarterbacks, die das Passspiel betreffen: Die meisten Versuche, die meisten erfolgreichen Pässe, die meisten Touchdownpässe wurden von ihm geworfen – aber gleichzeitig wurden seine Pässe auch am häufigsten abgefangen. Am beeindruckendsten ist allerdings eine andere Statistik: Favre stand für seine jeweiligen Teams 291 Mal hintereinander in der Startaufstellung und hat damit seit 1992 kein einziges Spiel in der Saison oder den Playoffs verpasst.

Erst mal nicht mehr da ist dagegen Jesse Holley. Er ist der erste Spieler der NFL, der seine Team-Zugehörigkeit in einer Castingshow gewonnen hatte. Holley hatte sich in der Sendung »4th and long« gegen elf andere Mitbewerber durchgesetzt und damit seinen Platz im Kader der Dallas Cowboys ergattert – zumindest für die Zeit der Trainingslager während der Saisonvorbereitung.

Während der Show waren Holley und seine Mitbewerber bis an den Rand der Erschöpfung getrieben worden, der Zuschauer konnte sehen, wie die Coaches um Michael Irvin, den ehemaligen Wide Receiver der Cowboys aus den neunziger Jahren, die jungen Sportler so lange das Feld rauf und runter rennen ließen, bis sie buchstäblich kotzten, und in anderen Trainingseinheiten von ihnen verlangt wurde zu zeigen, dass sie sich gegen eine Überzahl an Defensivspielern durchsetzen können. Als Willenstest war sogar ein Konditionstraining angesetzt worden, das erst endete, als einer der Kandidaten aufgab und freiwillig die Sendung verließ.

Holley hielt durch und gewann, er durfte am Trainingscamp teilnehmen und in den vier Spielen zur Saisonvorbereitung mitspielen. Er erzielte im vierten und letzten Spiel sogar auch einen Touchdown – einen Punt Return und noch dazu den Touchdown zum Gewinn des Spiels. Es waren die letzten Punkte, die in dem Spiel erzielt wurden, und Holley brachte die bis dahin zurückliegenden Cowboys in Führung. Gereicht hat die Leistung jedoch nur bedingt. Immerhin darf er beim Verein bleiben, allerdings nur in der Practice Squad, also bei den Ergänzungsspielern, die während der Saison nicht in Spielen eingesetzt werden dürfen – es sei denn natürlich, ein Spieler aus dem Kader wird entlassen oder verletzt sich.

Nicht mehr da ist auch Plaxico Burress. Der Most Valuable Player des Super Bowls im Februar 2008, Wide Receiver der New York Giants, hatte sich während der vergangenen Saison in einem Nachtclub mit seiner eigenen Pistole in den Oberschenkel geschossen. Da die Waffe nicht registriert und damit illegal war, muss er nun wohl wegen unerlaubten Waffenbesitzes ins Gefängnis – und die New York Giants haben ihn noch vor Prozessbeginn entlassen.

Doch es gibt in dieser nun beginnenden Saison auch Themen, die sich in Zahlen ausdrücken und mit den Spielern selbst zunächst nichts zu tun haben. Ein Superlativ an sich ist das neue Stadion der Dallas Cowboys, eine Halle, so groß, dass die Freiheitsstatue darin aufrecht – auf dem Stern im Mittelpunkt des Spielfeldes bei geschlossenem Dach – stehen könnte, wenn da nicht diese riesigen Anzeigetafeln hängen würden. Sie erinnern an Videowürfel, wie man sie vom Eishockey oder Basketball kennt, nur sind sie eben um ein Vielfaches größer. Mit Bildschirmdiagonalen von über 52 Metern handelt es sich nämlich um die größten HDTV-Bildschirme der Welt. 80 000 Zuschauer finden in der Arena regulär Platz – für Events wie den für Februar 2011 geplanten Superbowl kann die Kapazität aber auf 100 000 Zuschauer erweitert werden. Die Kosten für das Stadion sind ebenso beeindruckend wie die Größe des Bauwerks: 1,2 Milliarden Dollar hat es gekostet.

Was aber niemand bei der Planung bedacht hat: Das Stadion wurde mitten in der weltweiten Rezession fertiggestellt und eröffnet. Man merkt das unter anderem daran, dass es einfach Cowboys Stadium heißt, weil die Namensrechte nicht, wie sonst üblich, von einer Firma aufgekauft worden sind. Befürchtungen, man würde das Stadion in dieser Zeit bei den hohen Eintrittspreisen für die NFL nicht füllen können, waren jedoch unberechtigt. Die Tickets sind ausverkauft – wie es auch im alten Texas Stadium seit Jahrzehnten der Fall war – und das ohne reduzierte Preise.

Einige andere NFL-Teams mussten dagegen auf ihre Wartelisten zugreifen, um genügend Dauerkarten zu verkaufen. Die Tampa Bay Buccaneers mussten beispielsweise zum ersten Mal um Käufer werben, dabei hatte man in den vergangenen Jahren regelmäßig vermeldet, bis zu 100 000 Bestellungen von Dauerkarten ablehnen zu müssen.

Trotzdem sind die Auswirkungen der Krise in diesem Jahr noch nicht gravierend: Von den 32 Teams, die der NFL angehören, sind nur acht in diesem Jahr als weniger wertvoll eingestuft worden als im vorigen. Trotz der Rezession haben die Teams ihre Gewinne durchschnittlich um sieben Prozent gesteigert. So etwas ist in keiner anderen US-Profiliga im letzten Jahr gelungen.

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