An diesem Bundesligaspieltag gab’s einmal mehr Diskussionen über Schiedsrichter-Entscheidungen: Felix Brych erkannte beim Spiel Borussia Dortmund – VfB Stuttgart einen Dortmunder Treffer trotz eines Fouls an Jens Lehmann an, Günter Perl sprach Hoffenheim einen umstrittenen Foulelfmeter zu und ahndete erst die zweite Notbremse von Per Mertesacker als solche. Derartige Situationen werden nach dem Spiel mit dem Schiedsrichter-Beobachter besprochen, der den Referees Punkte für ihre Leistung gibt. Im Folgenden nun ein bisschen mehr darüber, wie und von wem die Unparteiischen bewertet werden – nicht nur in der Bundesliga.

Vor 28 Jahren hatte Paul Kindervater die Faxen schließlich dicke. »Dieses System ist ein reines Glücksspiel. Da wird eine Wertung aufgrund eines umfangreichen Fragekataloges vorgenommen, die doch recht subjektiv bleiben muss«, kommentierte er die Gründe für seinen Rücktritt vom Amt des Schiedsrichters. Was den langjährigen Bundesligaschiedsrichter so aufbrachte, waren die Beurteilungen der von ihm gepfiffenen Spiele durch die Schiedsrichterbeobachter. Kindervater fühlte sich benachteiligt und zog die Neutralität der Gutachter in Zweifel: »Die Beobachter haben unter Umständen Vorurteile, die sie in ihrer Analyse beeinflussen.«

Der Rücktritt des erfahrenen Unparteiischen blieb folgenlos; das Vorgehen bei der Beurteilung von Schiedsrichterleistungen ist bis heute im Grundsatz gleich geblieben. Sobald ein Schiedsrichter der Kreisliga entwächst, wird er in seiner jeweils höchsten Spielklasse regelmäßig beobachtet und bewertet. Zuständig dafür sind ehemalige Schiedsrichter, die statt der Pfeife den Notizblock in der Hand haben und nicht mehr auf dem Platz stehen, sondern auf der Tribüne sitzen. In der Regel werden sie dabei bis zu der Spielklasse eingesetzt, in der sie früher selbst aktiv waren.

Nach dem Match fertigen sie ihre schriftliche Beurteilung an, auf einem Beobachtungsbogen, der dem Unparteiischen einige Tage später zugeht. In ihm wird die Leistung des Schiedsrichters unter verschiedenen Gesichtspunkten gewürdigt: Hat er den Fußballregeln Geltung verschafft? Stimmte seine Bewertung der Zweikämpfe? War er die Autorität auf dem Platz? War die Verteilung der gelben und roten Karten angemessen? Ist er genug gelaufen? Verlief die Zusammenarbeit mit den Assistenten reibungslos?

Unter Berücksichtigung des Schwierigkeitsgrades einer Partie vergibt der Beo­bach­ter schließlich eine Punktzahl. Derzeit kursieren im Bereich des DFB noch zwei verschiedene Beobachtungsbögen: einer mit einem nach Zehnteln abgestuften System bis maximal zehn Punkte, wie er von der Bundesliga bis hinunter zu den Verbandsligen verwendet wird, und ein vereinfachter für die unteren Amateurklassen, bei dem der Schiedsrichter 50 Punkte erreichen kann. Die Höchstnoten werden jedoch nur dann vergeben, wenn der Unparteiische in einem nach Ansicht des Beobachters sehr schweren Spiel fehlerfrei geblieben ist.

Der Durchschnitt aus allen Beobachtungsergebnissen ist am Ende einer Saison zwar nicht das alleinige, aber das wesentliche Kriterium für den Auf- und Abstieg eines Schiedsrichters. Auch bei den Schiedsrichtern gibt es also eine Abschlusstabelle; die Punktbesten steigen gewöhnlich in die nächsthöhere Spielklasse auf, die Schlechtesten in die nächsttiefere ab. Die Zahl der Auf- und Absteiger variiert dabei und hängt nicht zuletzt davon ab, wie viele Schiedsrichter jeweils ihre Karriere beenden.

Die Maßstäbe und Kriterien für die Beurteilung einer Schiedsrichterleistung sind in der Theorie zwar eindeutig; dennoch werden sie in der Praxis naturgemäß recht subjektiv angewandt. Was dem einen Beobachter ein korrekter Zweikampf ist, ist dem anderen ein hartes Einsteigen; der eine sieht einen klaren Elfmeter, wo für einen anderen eindeutig eine Schwalbe vorlag; der eine freut sich, dass der Unparteiische mit wenigen gelben Karten ausgekommen ist, während ein anderer findet, es hätten einige mehr sein müssen. Kurz: So, wie es die Schiedsrichter auf dem Platz zwangsläufig nicht allen recht machen können, Situationen unterschiedlich wahrnehmen und Fehler begehen, so notwendig subjektiv sind auch die Werturteile von Dritten, zu denen eben auch die Beobachter gehören.

Dementsprechend sind sie bei den Schieds­richtern beliebt und gefürchtet. Mancher Unparteiische ist durchaus aufgeregt, wenn der Beobachter sich vor dem Anpfiff vorstellt: Steht er auf kleinliches Pfeifen und viele Karten oder bevorzugt er im Interesse des Spielflusses eine großzügige Regel­aus­le­gung? Hat er den Ruf, die Punkte wohlwollend zu vergeben? Und nicht zuletzt: Hat man an bei vergangenen Spielen positive oder negative Erfahrungen mit ihm gemacht?

Zwar behauptet so ziemlich jeder Schiedsrichter, seinen Stil nicht nach den vermeintlichen Vorlieben der Beobachter auszurichten, doch die früheren Kollegen sind unter den Schiedsrichtern unangefochten das Gesprächsthema Nummer eins. Das hat Gründe, denn mit den Beobachtungsbögen ist es wie mit den Entscheidungen der Unparteiischen während eines Spiels: Sie sind nur in seltenen Ausnahmefällen anfechtbar, und vor allem entscheiden sie maßgeblich über die sportliche Zukunft der Betroffenen – vor allem im Amateurbereich.

Inder ersten und der zweiten Bundesliga gibt es dann keinen fest geregelten Auf- und Abstieg mehr, und bereits von der Regional­liga an entscheiden noch eine Reihe anderer Kriterien über die Aussichten eines Schiedsrichters auf den Wechsel in eine höhere Spielklasse, wie etwa das Alter, die Belastbarkeit, das Auftreten außerhalb des Spielfeldes und die berufliche Abkömmlichkeit.

Konkret heißt das: Der punktbeste Schiedsrichter der zweiten Liga steigt am Ende einer Spielzeit nicht automatisch in die Bundesliga auf, und der nach Noten schwächste Unparteiische der Eliteklasse hat nicht in jedem Fall seine Rückversetzung in den Unterbau zu befürchten; der Schiedsrichterausschuss des DFB befindet vielmehr von Fall zu Fall, wie er mit seinen Stars und seinen Sorgenkindern umgeht. Michael Kempter etwa, mit 23 Jahren der jüngste Unparteiische in der Bundesliga seit deren Gründung, verdankte seinen rasanten Aufstieg nicht nur seinen guten Beurteilungen, sondern auch gezielten Maßnahmen des Fußballbundes.

Im Profifußball gibt es derzeit knapp zwanzig Schiedsrichterbeobachter, die erheblich mehr Aufgaben als ihre Kollegen in den Amateurklassen haben. Denn sie müssen nicht nur eine ausführliche Beurteilung schreiben, sondern mit den Schiedsrichtern auch unmittelbar nach dem Spiel deren Leistung ausführlich besprechen, teilweise sogar mit Hilfe eines Vi­deos, das sie sofort nach dem Abpfiff erhalten.

Vor allem die strittigen Situationen während der Partie werden dabei noch einmal analysiert – nicht immer zur Zufriedenheit der Schiedsrichter, die mit einem Punktabzug rechnen müssen, wenn die Fernsehbilder ihnen eine eindeutige Fehlentscheidung nachweisen. Doch da sie von dem Bildmaterial auch entlastet werden können, ist die Grundlage für die Beurteilung letztlich eine genauere als im Amateurfußball.

Zu Paul Kindervaters aktiver Zeit war das noch anders: Es gab weniger Kameras im Stadion und keine Videoanalysen nach dem Spiel. Seine Verbesserungsvorschläge gingen deshalb in eine andere Richtung: Er forderte den Einsatz von zwei unabhängig voneinander urteilenden Beobachtern und ein Mitspracherecht der Vereine. Über diese Idee wurde jedoch nie ernsthaft diskutiert.

Zuerst erschienen in der Jungle World vom 18. Januar 2007.

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