AC Milan verkauft Kakà

von MisterAltravita

So, es ist raus, gestern Nacht kommunizierten der AC Milan und Real Madrid offiziell, das Ricky Kakà ab sofort die camiseta blanca tragen wird. Im Raum stehen 65 Millionen Ablösesumme und 9 Millionen netto für den Spieler, offizielle Zahlen wurden nicht veröffentlicht.

“Sie müssen mir die Hand abschneiden, denn ich werde niemals seinen Verkauf unterschreiben.”
(Adriano Galliani, 04.09.2007)

Ob sich der Verkauf des Schlüsselspielers und pallone d’oro 2007 und daraus resultierende Neuverpflichtungen als sportlicher Gewinn für den Verein darstellen werden, werden die anstehenden Neuverpflichtungen und die nächsten Spielzeiten zeigen. Eine veritable Zäsur in der Vereinspolitik markiert der Transfer allemal: Der europäische Spitzenklub AC Milan, der sich bis heute offiziell als “meistdekorierter Klub der Welt” bezeichnet, der in der Vergangenheit im Zweijahres-Abstand Finals der Champions League bestritt, der bis vor wenigen Jahren mit einem scheinbar unbegrenzten Budget Europas Spitzenspieler verpflichtete und nur sportlich wertlose Spieler abgab, ist Geschichte. In Zukunft werden wir einen AC Milan sehen, der sich finanziell weitgehend selbst tragen muss, der dem Modell AS Roma, Udinese oder Arsenal folgend junge Spieler verpflichtet und auf dem Höhepunkt ihres Leistungsvermögens abgibt, um die Bilanz auszugleichen.

Kein, ich wiederhole kein, europäischer Verein mit Titelambitionen trägt sich selbst. Selbst wenn man als Vorbild exzellente Clubs mit unserer neuen Philosophie betrachtet, spielen die weder in der Meisterschaft noch der Champions League eine herausragende Rolle. Dieser Aspekt wird von den Granden des AC Milan gern verschwiegen. Der Verkauf Ricky Kakàs markiert einen Umbruch, eine Revolution, die weiße Flagge eines europäischen Topclubs, der in Zukunft versuchen muss, durch Champions-League-Teilnahmen und Spielerverkäufe Gewinn zu erwirtschaften.

“Kakà und Milan haben Real schon in der Vergangenheit geantwortet. Ich sehe keinen einzigen Grund, von dieser Position abzuweichen. Zudem erscheint mir die Bindung an die rotschwarzen Farben in diesen Tagen Bände zu sprechen…”
(Silvio Berlusconi, 23.01.2009)

Kakà bekommt bei Real effektiv weniger Geld (nur 50 % der Imagerechte). Der von Galliani erwähnte steuerliche Aspekt ist zudem nur für den Verein interessant, nicht für den Spieler, Spieler verhandeln immer Nettosummen. Desweiteren halte ich es für einen Spieler normal, zu wechseln, wenn er nicht mehr das Vertrauen seines Arbeitgebers spürt, der ihn innerhalb von 6 Monaten zweimal an den nächstbesten verkaufen will – kein Spieler der Welt bleibt “für die Fans” bei einem solchen Club. Ungeachtet der bisherigen Aussagen der Vereinsführung, dass man “versuchen werde, Ricky zu halten”, aber “ausländische Clubs mit anderen Summen operieren” steht fest, dass Kakà gegen seinen erklärten Willen zu Real wechselt, verkauft von einem Clubeigner, der zwar eine neue Strategie beschlossen hat, sich offiziell aber noch in den Erfolgen der Vergangenheit badet und von einem “auf allen Ebenen wettbewerbsfähigen AC Milan” fabuliert, der im nächsten Jahr mit einer Mannschaft antreten wird, “die gegenüber Inter konkurrenzfähig ist”. Wohlgemerkt, dasselbe Inter, dass den AC Milan (mit Kakà) in den vergangenen Spielzeiten um zwischen 10 und 20 Punkte deklassiert hat. Wie man die Abgabe des absolut besten Spielers des Vereins sportlich kaschieren will und zudem den absolut notwendigen Umbau der überalterten Mannschaft angehen will, zumal mit einem absoluten Novizen auf dem Trainerstuhl, steht bislang noch in den Sternen.

Vor allem sprechen wir von einer Finanzholding (Fininvest) als Clubeigner, die im Jahr Gewinne macht – andersherum heißt das, dass die 30 oder 60 oder 90 Millionen Verlust, die bei Fininvest in der Bilanzsumme auftauchen, steuerlich geltend gemacht werden können. Von den nominellen Verlusten (Bilanzausgleich des ACM durch die Fininvest) ist immer abzuziehen, dass gut die Hälfte als Steuern an den Staat gegangen wären. Also hat zwar Fininvest dieses Jahr 65 Mio zugeschoben, um den Haushalt 2008 auszugleichen, davon mehr als die Hälfte an Steuern gespart. Wenn man jetzt noch herausrechnet, dass Berlusconi ja keinesfalls 100% an Fininvest gehören, ist der tatsächliche finanzielle Verlust für unseren kleinen Sonnenkönig natürlich deutlich geringer, als die Zahlen, die immer so gern in den Medien zitiert werden. Seit die Kinder Marina und Pier Silvio Berlusconi (eine Interista, hört, hört) die Führung der Fininvest übernommen haben, sind denen die jährlichen Verluste des ACM ein Dorn im Auge und beide fordern einen ACM, der “sich selbst trägt”. Genau das sehen wir im Moment und Silvio Berlusconi hat a) im Moment keinen Bedarf mehr am ACM als Image-Träger und b) im Moment dringendere Baustellen aufzulösen (Scheidung, Noemi, Finanzkrise).

Silvio Berlusconi, der Schattenpräsident, steht im Moment vor der Herausforderung, sich mit den finanziellen Forderungen seiner Frau auseinanderzusetzen, die kürzlich die Scheidung eingereicht hat. Er muss einem wirtschaftlich angeschlagenen Land, dem er ja auch vorsteht, erklären, dass magere Jahre anstehen und der von Steuern und sinkenden Einkommen gebeutelten Bevölkerung vermitteln, dass der Gürtel enger geschnallt werden muss. Und er hat, vermutlich der wichtigste Punkt, angesichts einer von allen Skandalen unerschütterbaren, parlamentarischen Mehrheit keinen Bedarf mehr an einem unbesiegbaren AC Milan als Sympathieschleuder und Potenzsymbol (dafür hat er ja jetzt die 18-jährige Noemi). Jedenfalls braucht er nicht mehr den AC Milan, um sich als Sieger darzustellen, seine Macht ist unangetastet. Politisch unangetastet selbst durch peinliche Fotos uns Spekulationen um ein Verhältnis zu Minderjährigen. Eine Präsidentschaft vom Typ “Santiago Bernabeu” geht bruchlos über in eine Präsidentschaft vom Typ “Giussy Farina” (und nicht mal der hat seinerzeit Baresi verkauft).

Nur, wenn der ACM vom Gönner-Modell (Inter) zum Modell Wirtschaftsunternehmen (Roma) wechselt, markiert das eine ernste Zäsur in der Strategie der Vereinsführung. Was die Mehrheit der Tifosi auf die Palme bringt, ist nicht diese 180Grad-Wendung als solche (Berlusconi kann mit seinem Geld machen, was er will), sondern, dass wir Fans für dumm verkauft werden sollen mit den dauernden “siamo a posto così”, “kommt Nesta zurück, brauchen wir keinen Verteidiger”, “mit Borriello haben wir schon einen Spitzenstürmer”. Was mich persönlich stört, sind die andauernden Beteuerungen, dass es kein “ridimensionamento” gibt, dass wir “nächstes Jahr um die Meisterschaft” spielen und dass man die Mannschaft “durch Zukäufe gar nicht verbessern kann, weil wir die besten Spieler schon bei uns haben”. Weil gewinnen werden wir so – genau wie Reggina, Chievo oder Udinese – genau gar nichts.

Einfach mal ein paar Worte zum Strategiewechsel, zum neuen Projekt, zur zukünftigen Vereinspolitik und eine objektive Ankündigung, dass uns Jahre ohne Titel bevorstehen, anstatt diese Dauerdisco vom “club più titolato al mondo”, der nächstes Inter deklassiert. Weil ich seit 3 Jahren komplett für dumm verkauft werde. Und an dem Punkt bevorzuge ich die Scheichs.

Der AC Milan verkauft seinen absoluten Starspieler, gegen den Willen der Fans und des Spielers selbst, um die anstehenden Wettbewerbe mit einer Mannschaft aus Spielern anzugehen, die allesamt Väter der Freundin des Vereinspräsidenten sein könnten. Irgendetwas läuft hier grundlegend falsch.

Kommentare

5 Kommentare zu “AC Milan verkauft Kakà”

  1. dg am 06.10.09 12:51

    Gibt es wirklich Fans von Milan?

  2. MisterAltravita am 06.10.09 13:07

    Super Frage. Allein diese fein ziselierte Ironie kann nur von einem ganz ganz großen Denker kommen.

  3. dg am 06.10.09 13:13

    Oje, ohne Maldini und Kaka ganz schön dünnhäutig. Dann präziser: wie wird man ausgerechnet Milan-Fan?

  4. MisterAltravita am 06.10.09 13:21

    Genauso, wie man Fan des Vfl Wolfsburg oder von Pergocrema wird.

  5. AC Milan verkauft Kakà am 06.10.09 21:33

    […] Original post by SportsWire […]

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