Wenn man sein halbes Leben in Eisarenen jeglicher Farbe und Größe verbringt, schleicht sich anscheinend ein trügerisches Selbstbewusstsein ein, was den Umgang mit Sportfans betrifft. So wurde ich in den letzten Jahren nicht mal in Iserlohn oder Augsburg deshalb angefeindet, weil ich die Farben des Gegners trug. Ja, es gibt sicher im Schweizer Eishockey Beispiele, die das Gegenteil beweisen, so würde auch ich im Tessin nicht mit einem weiß-blauen Schal in eine schwarz-gelbe Kurve gehen. In Deutschland aber hat es sich doch in den letzten zehn Jahren sehr beruhigt. Im Fußball jedoch ist es selbst in Partien, in denen die Fans als befreundet gelten doch noch etwas anders.

„Wir Unioner sind anders, viel toleranter“, diese Attitüde tragen so ziemlich alle Fans des 1.FC Union stolz vor sich her. Die von früher, weil sie damals vor 1990 diejenigen waren, die als Fans diskriminiert wurden und als Fußballer nicht gewinnen durften. Die Fans von heute berufen sich natürlich auf früher und sind also deshalb toleranter als andere, weil die von früher diskriminiert wurden und das Team aufm Platz nicht gewinnen durfte.
Leicht unfreiwillig stellte ich am vergangenen Samstag beim Treffen der beiden so genannten Kultclubs schlechthin, beim Zweitbundesligaspiel des 1.FC Union Berlin gegen den FC St. Pauli in der mit 19.000 Zuschauern ausverkauften Alten Försterei diese Theorie auf die Probe.

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Vor dem Spiel war die Atmosphäre großartig. Laute Gesänge auf beiden Seiten, strahlender Sonnenschein. Die St. Pauli-Fans mit einem Spruchband, das einem, wenn man möchte, erlaubt, Subtilität hereinzuinterpretieren: St. Pauli ist die einzige Möglichkeit. Das Spiel ging los und weil draußen so viel passierte, konnte man schon in den ersten Minuten den Blick kaum von den Stehplatzrängen aufs Spielfeld richten. Als dann Unions Freistoßspezialist auch noch extra für alle Zeitungsschreiberlinge, Hörfunk- und Fernsehreporter direkt in einen auf ihn gereimten Fanchant hinein, den Ball per Freistoß ins Tor beförderte, war der stimmungstechnische Höhepunkt eigentlich schon erreicht. Von da an ging es nur noch bergab. Das klingt negativ, war es aber nur bedingt, denn lauter und perfekter geht es eigentlich nicht.

Beschwingt von der Stimmung wollte ich also in den Stehplatzblock der Unioner, um mal die Leute, aus der Nähe zu betrachten, die da so viele Emotionen erzeugen. Und da traf mich etwas überraschend, aber letztendlich vollkommen zu recht die harte Fußballrealität. Zuerst, auf dem Hinweg, nahm ich ja noch an ich wäre direkt vor dem Podest der Vorsänger mit Megaphon, also da, wo die Ultras von Wuhlesyndikat etc. stehen, auf eine der Fahnen getreten und hatte deshalb so böse Blicke und auch einige Worte geerntet. Als ich dann aber auf dem Rückweg aufgefordert wurde, sowohl meinen Kapuzen-Pulli, als auch mein Jersey darunter auszuziehen, wusste ich, dass Toleranz eben auch im Union-Block Grenzen hat.

Wenn man also unabsichtlich ein St. Pauli-Jersey leicht unter einem Sweatshirt hervor scheinen lässt, fühlen sich einige davon provoziert. Und zwar dermaßen, dass sie sogar an der Oberbekleidung herumzuppeln müssen. Ist dann auf dem schwarzen Pulli drüber noch ein Eisbär drauf, soll man sich möglichst direkt im Block auch dieses Kleidungsstücks entledigen. Hasserfüllte, etwas verwirrte Blicke schlagen einem entgegen. Da hilft die farbliche Annäherung an die Farben des FCU mit einem roten Stern um den weißen Eisbären herum auch nicht viel. Zu nah immer noch die Verknüpfung in den Köpfen der unter 20jährigen mit dem Eisbärenvorgängerclub, der ja schließlich den gleichen Namen trug, wie der Erzerzerzfeind der Köpenicker.

Also musste ich mich schweren Herzens dann doch wieder auf die Sitzplatztribüne begeben, auf der mir zuvor und danach nicht mal verwirrte Blicke begegneten. Vorher aber lieferte noch ein Kommentator die perfekte Zusammenfassung dieses Vorfalls: „Seit wann dürfen hier denn Eisbären rein?!“

Man darf jedoch nicht verschweigen, dass während des ganzen Spiels beide Fanlager lediglich ihr Team anfeuerten und von den üblichen Pöbeleien komplett absahen. Zudem konnte ich auch ums Stadion herum keine Feindseligkeiten zwischen Fans der Hamburger und den Berlinern beobachten. Nein, die Spieler St. Paulis wurden sogar mit dementsprechend aufmunternden Sprechchören in die Kabine verabschiedet. Dazu passend dann auch der Kommentar als ich daheim von meinem Erlebnis berichtetet: „Aber in der Halbzeit haben sie doch so einen Fan im Fernsehen gezeigt, der hatte ein T-Shirt an, da stand Blutsbrüder drauf…“

Nun, vielleicht sind ja auch manche Eishockeyclubs in Fußballstadien viel eher ein Stein des Anstoßes, als in Eishockeyarenen. Zumindest, wenn man nicht aufpasst.

Kommentare

2 Kommentare zu “„Seit wann dürfen hier denn Eisbären rein?!“”

  1. Unioner1965 am 04.21.10 10:08

    Wie du schon meintest, werden die Eisbären von vielen immernoch als EHC Dynamo Berlin angesehen und damit halt genauso verachtet wie der BFC Dynamo und seine Anhänger. Wenn man sich ein Spiel von den Eisbären anguckt und die vielen Dynamorufe, sowie Dynamologos höhrt bzw sieht scheint dies auch durchaus noch der Realität zu entsprechen.

    Und das man mit der gegnerischen Fankleidung nich in den Supportersblock der anderen Mannschaft geht ist beim Fußball allseits bekannt. Dies wird von denen die da stehen als Provokation empfunden und oftmals mit dem sogenannten “Abziehn” eben jener Klamotten bestraft(egal ob verfeindet oder neutrales Verhältnis zum Gegner). Ist zwar auch nich ganz meine Welt, aber ich kanns teilweise verstehen und man kann es ja leicht umgehen, indem man halt nicht in diesen Block sich stellt.

    Ich hoffe dir haben die bösen Blicke nich den Tag versaut und wir werden dich gegen Bielefeld wieder sehen in der Alten Försterei, aber ohne Eisbärenpulli;)

    MfG Steffen

  2. Daniel Goldstein am 04.21.10 13:05

    Hey Steffen,

    zum Glück hast du den Artikel richtig verstanden. Und, ich war ja bei weitem nicht zum ersten und deshalb auch nicht zum letzten Mal in der AF.

    Also, keine Sorge und danke für die netten Worte.

    Gruß daniel

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