Ein Plädoyer für kontemplatives Schweigen. Oder so.

Ich mag kein Philanthrop sein aber erfreulicherweise gibt es Menschen, die mir sympathisch sind. Vor allem natürlich diejenigen, die ich zu meinen Freunden zähle.
Und ich mag Fußball. Ja, doch. Er ist sicherlich nicht mein Lebensinhalt, der Geruch von Bier und Bratwurst versetzt mich in keinerlei emotionale Wallung und ich bezweifle, dass ich in Nick Hornby Manier meine schwangere Freundin alleine ins Krankenhaus fahren lassen würde, um dem Ende eines Spiels beizuwohnen. Nichtsdestotrotz bin ich mit Fußball sozialisiert worden. Mein Vater nahm mich im Alter von vier Jahren das erste Mal mit ins Stadion. Das es ausgerechnet das Olympiastadion, ausgerechnet Hertha, sein musste, werde ich ihm wohl nie verzeihen können.
Wie auch immer, ich mag Fußball. Vielleicht noch mehr seit ich in Freiburg wohne, wo man trotz ökonomischer Unterlegenheit den „Großen“ in puncto Technik und Spielwitz einige Jahre zumindest ebenbürtig war.
Die Voraussetzungen scheinen also gegeben. Ich sollte wie jeder normale Mensch in der Lage sein, mit Freunden ein Spiel zu besuchen und mich dabei zu amüsieren.
Die Erfahrung zeigt jedoch, dass mir dies in beängstigender Regelmäßigkeit misslingt. Das hat natürlich Gründe.
Eigentlich ist es ganz einfach: Fußball bietet Gesprächsstoff. Genaugenommen eine ganze Menge Gesprächsstoff. Entscheidend ist dabei aber, dass die Grundlage dieser Gespräche selten im Spiel an sich liegt. Fußball ist im Prinzip ein wahnsinnig langweiliges Spiel. Gary Lineker soll gesagt haben: „Football is a simple game. 22 men chase a ball for 90 minutes and at the end the Germans win.”
Das war 1990 und bis auf die Sache mit den Deutschen hat sich seitdem nichts geändert. Eine interessante, tiefgründige Diskussion über das Spiel scheint also jeder Grundlage zu entbehren. Wenn ich – selten – den Fehler begehe, mich mit „Bundesliga Aktuell“ und dem „DSF Doppelpass“ unfreiwillig zu kasteien, erhärtet sich dieser Verdacht immer wieder von Neuem. Die Quelle meiner Qualen besteht jedoch nicht allein in der blasierten Humorlosigkeit von Beckenbauer, Lattek und Konsorten. Noch unerträglicher scheint mir ihre Unfähigkeit zur Abstraktion, zu einer Transferleistung gleich welcher Art. Dabei wäre sie so bitter notwendig.
Denn dass Reflexion über Fußball abseits von „Ja, gut, ich sach ma…“ möglich ist, beweisen nicht nur diverse Printmedien; stellvertretend seien „When Saturday Comes“ in Großbritannien und „11 Freunde“ in Deutschland genannt.
Ich kenne Menschen, die über genügend Witz, rhetorisches Talent und Enthusiasmus verfügen, anhand eines Fußballspiels den Sinn des Lebens herzuleiten. Es gibt andere Menschen, die mir, sobald ich von meinen Besuchen im Dreisamstadion berichte, anerkennend auf die Schulter klopfen und mir zu meiner antikapitalistischen Gesinnung gratulieren. Einerseits ist das komplett idiotisch. Andererseits kann es zumindest hilfreich sein, den Fokus zu erweitern und Fußball beispielsweise als Allegorie auf das Leben zu begreifen. Kämpfen und Scheitern. Aufstehen und Weiterfrickeln.
Warum sonst sollte sich – um Hornby kurz wieder aufzugreifen – ein erwachsener Mann eine Serie von 31 sieglosen Spielen des eigenen Vereins antun. Und sich auch noch daran erfreuen! Die sogenannte Loyalität, die stoische Lakonie, die einen bei Minusgeraden auch ein 0:4 gegen Karlsruhe ertragen lässt, muss schließlich irgendwie zu begründen sein. Alles andere wäre beunruhigend.
Es kann zu einem äußerst amüsanten Gedankenaustausch kommen, wenn man einem Dortmund-Fan Bigotterie vorwirft, nachdem er den FC Chelsea und Roman Abramowitsch attackiert hat. Der unerwartete Enthusiasmus eines Brentford FC Anhängers nach einer 1:3 Heimpleite kann ungeheuer ansteckend sein. Und der sehnsuchtsvolle Blick eines Hochschulprofessors, der Anekdoten von einem „Strafraummelancholiker“ namens Uwe Spies zum Besten gibt, weckt nicht für möglich gehaltene Sympathien.
Ich glaube, ich mag Fußball schlicht und ergreifend auf Grund all der Emotionen, die er hervorruft.
Damit wären wir dann auch wieder bei der Frage, warum ich ein Spiel im Stadion eigentlich nur allein genießen kann. Wie gesagt, das Spiel selbst ist oftmals relativ uninteressant. Natürlich ist es nicht vollkommen irrelevant aber läge mein Hauptaugenmerk auf dem Spiel an sich, dann wäre ich vermutlich in eine Kneipe gegangen und hätte mir das Ganze bei angenehmeren Temperaturen und besserem Überblick angesehen.
Nun bin ich aber im Stadion.
Und ich ertappe mich immer wieder dabei, genau das zu machen, was ich mit vier Jahren wohl ausschließlich gemacht habe. Ich betrachte die Menschen. Ich mache mir Gedanken über die Wechselwirkung von Spiel und Stimmung der Fans. Darüber, dass das hier für viele der Anwesenden das Highlight der Woche ist. Im Großen und Ganzen aber versuche ich eigentlich nur, alles in mich aufzusaugen. Und zu genießen. Weitestgehend unreflektiert. Das kommt dann später.
Solange ich aber hier bin, will ich in meinem tranceartigen Zustand verweilen.
Jetzt ein Gespräch zu führen kann eigentlich nur kontraproduktiv sein.
Noch dazu, weil die Emotionalisierung natürlich nicht nur mich erfasst hat. Und das mag man dann schon fast als Paradoxon bezeichnen. Auf der Suche nach Emotionen bin ich hergekommen, nun sorgen ebenjene jedoch dafür, dass gebildete Menschen nur noch einen Mix aus Beleidigungen und Belanglosigkeiten hervorbringen, was mir oftmals die Freude an der Sache nimmt. „So ne Scheiße! Wenn wir aufsteigen wollen, müssen wir solche Spiele einfach gewinnen! Oder, Max?“ Kann schon sein. Dass es mir eigentlich nicht sonderlich wichtig ist, ob „wir“ aufsteigen, behalte ich vielleicht lieber für mich…

Kommentare

1 Kommentar zu “Fußball gehört nicht totgequatscht”

  1. newskick.de am 01.13.09 14:29

    Fußball gehört nicht totgequatscht…

    Ein Plädoyer für kontemplatives Schweigen. Oder so….

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