Beim Aufstiegsspiel zur Regionalliga zwischen den zweiten Mannschaften von St Pauli und Holstein Kiel in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt am vergangenen Wochenende kam es im Anschluss zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und einigen Anhängern des Kiezklubs. Maßgeblich daran beteiligt war die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (kurz: BFE) des nördlichsten Bundeslandes aus der beschaulichen Kreisstadt Eutin. Bereits mehrfach waren die Eutiner Beamten in der abgelaufenen Saison bei Fußballfans scharf in die Kritik geraten…

Eigentlich hätte aus Sicht der St. Paulianer alles prima werden können: Mit 7:6 im Elfmeterschießen hatte die Zweite Mannschaft soeben die Kieler besiegt und war damit in die Regionalliga Nord aufgestiegen, wo in der nächsten Saison unter anderem Duelle gegen HSV II, Hansa Rostock II, Hertha II, Lübeck, Chemnitz, Halle und Meuselwitz auf die „kleinen“ Kiezkicker warten. Aus gegebenem Anlass wollte man daher ein wenig mit der Mannschaft auf dem Rasen feiern, was die Kieler Verantwortlichen ganz offensichtlich durch das vorbereitete Öffnen eines Fluchttores auch ermöglichen wollten. Bereits auf dem Rasen kam es allerdings zu unschönen Szenen: Die ebenfalls anwesende Polizei, die ein Aufeinandertreffen gewaltbereiter Holstein-Anhänger mit ihren Hamburger Counterparts verhindern wollte, hatte sich kurz hinter den Werbebanden der St. Pauli-Kurve postiert und trennte damit defacto Fans und Mannschaft teilweise.

Als ein offensichtlich angetrunkener Fan dann nach Auffassung eines einzelnen Beamten nicht schnell genug hinter die Werbebande zurück trat, wurde er zunächst geschubst und erhielt dann einen Faustschlag. Infolgedessen fiel er über die Bande und schlug mit dem Hinterkopf einem anderen Fan einen halben Zahn aus, womit dieser den Rest des Nachmittages im Krankenhaus verbringen musste. Ein Paradebeispiel, wie man mit reiner Willkür eine Masse im Grunde ausgelassen feiernder Fans gegen die Ordnungskräfte aufbringt. Vor dem Stadion wiederholte sich dann das Bild von an Deeskalation an diesem Nachmittag offenbar nicht interessierten Polizeikräften: Als einer der Busse, der Teile der Fans zum Hauptbahnhof bringen sollte, so lange mit offenen Türen herumgestanden hatte, bis er buchstäblich aus allen Nähten platzte und deshalb keine Polizeikräfte zur Begleitung mehr zusteigen konnten, entschieden sich die Beamten, sich den Zutritt mit schwingenden Schlagstöcken zu verschaffen.

Wer dieses Vorgehen als Augenzeuge verfolgt hat, kann angesichts der „Polizeitaktik“ nur noch den Kopf schütteln, scheint diese doch direkt aus einem Handbuch „How to create an angry mob“ abgeschrieben. Dieser rastete dann auch (wie gewünscht?) aus und griff die Beamten seinerseits an, woraufhin alle Umstehenden großflächig mit Pfefferspray eingenebelt wurden. Noch in gut 50 Meter Entfernung waren Augenreizungen nicht zu vermeiden, circa drei dutzend Menschen blieben zunächst am Boden liegen, bzw. wurden durch Pfefferspray verletzt. Mehrere mussten ärztlich versorgt werden, wobei es sich einige Polizisten nicht nehmen ließen, Sanitätern den Weg zu versperren. Im Anschluss an den „Polizeieinsatz“ wurden sämtliche Auswärtsfans noch mindestens 30 Minuten lang auf dem Stadionvorplatz festgehalten, woran selbst das Vorzeigen eines Presseausweises, verbunden mit der Bitte, zu seinem Auto gehen zu dürfen, nichts änderte.

Bemerkenswert ist, dass besagte BFE Eutin sich erst im März 2009 den Ärger sowohl der Kieler als auch der Lübecker Fans zuzog, weil sie beim „kleinen Derby“ zwischen Holstein II und Lübeck II ebenfalls in völlig überzogener Art und Weise agiert haben soll. Der Kieler Fanrat kritisierte zusammen mit dem Verein das Vorgehen der Polizei, wobei Aufsichtsratmitglied Jürgen Weber „erhebliche Zweifel“ daran äußerte, dass die „Polizeikräfte die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt“ hätten. Der Fankreis des VfB Lübeck entschloss sich „nach intensiver Begutachtung des vorliegenden Videomaterials und Absprache mit dem rechtlichen Beistand“ sogar dazu, Strafanzeige gegen die eingesetzten Polizeibeamten „wegen Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung“ zu stellen. Unter anderem soll die Polizei auf Frauen und Kinder eingeschlagen und Acht- und Zehnjährige dazu gezwungen haben, sich auf den verdreckten und kalten Betonboden zu legen.

Auch St. Paulis Fanbeauftragter Stefan Schatz will „weitere rechtliche Schritte“ gegen die Polizeibeamten prüfen. Warum die BFE Eutin immer wieder in fragwürdige Einsätze verwickelt ist und ob man mit der Taktik trotzdem rundum zufrieden ist, hätte Sportswire gerne auch Polizei-Pressesprecher Jürgen Börner gefragt, der am Freitag aber leider für eine Stellungnahme nicht mehr zu erreichen war. Die Kieler Nachrichten, die zunächst den Polizeibericht mehr oder weniger abgeschrieben und von St. Pauli-Fans berichtet hatten, die „die Polizei angegriffen“ hätten, neutralisierten ihre Berichterstattung mittlerweile nach mehr als 60 erbosten Online-Kommentaren. Die Polizei blieb der Zeitung gegenüber allerdings bei ihrer Darstellung und verwies auf vier Anzeigen wegen Landfriedensbruch.

Kommentare

2 Kommentare zu “Erneut fragwürdiger Polizeieinsatz gegen Fußballfans in Kiel”

  1. Schanzenfest oder 1312 « riot propaganda am 07.06.09 23:29

    […] Begegnung zwischen BFE und Sankt Pauli-Anhängern. Dabei verletzte die BFE-Einheit zahlreiche Fans. Dazu hier weiterlesen… Nun erfolgte im Zusammenhang mit dem Schanzenfest der zweite Übergriff durch die Eutiner […]

  2. St. Pauli, Rostock, der DFB und die “Kollegen” : SportsWire am 11.05.09 04:22

    […] wie die Anzahl der Festnahmen. Die Beamten und Beamtinnen hatten einen richtig guten Job gemacht, was ja auch nicht jeden Tag vorkommt, an diesem aber […]

blogoscoop