»Wie der nächstbeste Asylbewerber«

Ein kasachischer Pass, sonst ändert sich nichts? So hatten sich vier niederländische Schlittschuhläufer das vorgestellt. Doch nun droht ihnen die Abschiebung.

Den bekannten migrantischen Reflex, den Grad der eigenen Integration zu demonstrieren, hat sich Rob Hadders verblüffend schnell angeeignet: »Ich wohne hier, ich habe niederländische Eltern, studiere in den Niederlanden und gucke jeden Samstag ›Ik hou van Holland‹ (›ich liebe Holland‹, eine Samstagabendshow mit Quiz, Prominenten und einheimischer Musik, T.M.).« Sein Fazit ist klar: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich abgeschoben werde.« Genau das aber droht dem 25jährigen. Wie absurd die Situation ist, verdeutlicht ein Blick auf seine Biographie: Geboren wurde Hadders in Kraggenburg, einem Dorf in der Einöde des Noordoostpolder im Ijsselmeer. Er studiert in Groningen, ist Mitglied der dortigen studentischen Schlittschuhvereinigung GSSV Tjas, und im Winter betreibt er die holländischste aller Sportarten, den Marathoneislauf. Und nun soll er einfach »ausgesetzt« werden, wie es heißt, und zwar nach Kasachstan.

»Dabeisein ist alles« – just mit dem olympischen Motto fingen Hadders’ Probleme an. Als aufstrebendem Marathonläufer wird ihm im Schlittschuhland Niederlande eine gewisse Aufmerksamkeit zuteil – an internationalen Ruhm ist jedoch nicht zu denken, zumal die langen Distanzen, auf denen Hadders zu Hause ist, bei den großen Wettbewerben nicht gelaufen werden. Innerhalb der Niederlande auf kürzere Distanzen umzusatteln, ergibt kaum Sinn, da die einheimischen Spezialisten einen guten Teil der Weltspitze bilden. Was also lag näher, als dem Schlittschuhverband KNSB den Rücken zu kehren und den Traum von Olympia in einem anderen Land zu verwirklichen?

Dass dieses Land Kasachstan wurde, war so zufällig wie naheliegend. Der Vizepräsident des kasachischen Schlittschuhverbands, Sergej Tsybenko, ging früher für das niederländische Spitzenteam Spaar Select aufs Eis. Der Verband hat einen ehrgeizigen Plan: Kasachstan, einst eines der Eislaufzentren der UdSSR und Standort der legendären Freiluftbahn Medeo bei Alma-Ata, will an die Weltspitze. »Das Niveau des Schlittschuhlaufens muss nach oben«, erklärt Tsybenko. »Darum wollen wir Erfahrung mit Talent bündeln. Dafür haben wir Geld locker gemacht. Wir haben ein Budget, jetzt brauchen wir noch Medaillen.«

Um diese zu erringen, setzt man auf niederländische Expertise. Seit anderthalb Jahren steht der renommierte Coach Jillert Anema, der neben dem holländischen Marathon-Team BAM auch die kasachische Auswahl bei Olympia trainieren soll, in Kontakt mit dem dortigen Verband. Seine Mission ist klar: ambitionierte Läufer zu finden, um in Zentralasien aktive Aufbauhilfe zu leisten. Mindestens bis zu den Winterspielen 2014 im russischen Sotschi soll die Kooperation dauern. Aus dem eigenen Rennstall konnte er Arjan Stroetinga für den Deal gewinnen. Dazu kamen mit Rob Hadders, Christijn Groeneveld, Jorrit Bergsma und zunächst Robert Bovenhuis vier Sportler von BAM-Juniorpartner Equipe Renault Eco2. »Wir bieten diesen Jungs die Chance, auf Topniveau zu laufen«, so Tsybenko. Lukrativ sollte das Ganze auch noch sein: Für olympisches Gold will Kasachstan 250 000 Dollar zahlen. Ein WM-Titel brächte ein Jahr lang 7 000 Dollar im Monat.

Zunächst lief alles nach Plan. Die Einbürgerung in Kasachstan verlief, wie versprochen, problemlos. Rechtzeitig zur neuen Saison erhielt der niederländische Verband ein Fax aus Kasachstan mit den neuen Pässen der Läufer. Ende Oktober traten sie dann bei den nationalen Meisterschaften an, wo die Startplätze für die Weltcup-Rennen und damit zur Olympia-Qualifikation vergeben werden. Rob Hadders wurde Dritter, hinter seinen alten und neuen Landsleuten Jorrit Bergsma und Arjan Stroetinga. Nicht mehr dabei war Robert Bovenhuis, der Fünfte im Bunde, der im letzten Moment absagte: »Ich hatte kein gutes Gefühl ­dabei. Ich hatte Angst, dass ich durch eine fünfjährige Prozedur muss, um nach einer Einbürgerung als Kasache meinen niederländischen Pass zurückzubekommen. Dann muss ich als Ausländer in den Niederlanden wie der nächstbeste Asylbewerber eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen!«

Bovenhuis sollte Recht behalten. Bereits Anfang November geriet Sand ins Getriebe des »kasachischen Abenteuers«, wie niederländische Medien den Fall inzwischen getauft haben. Die niederländische Immigrationsbehörde IND bekam Wind von der Sache, die Ausländerpolizei ließ sich vom Schlittschuhverband die kasachischen Papiere geben, und plötzlich erwies sich die in Aussicht gestellte doppelte Staatsbürgerschaft als Luftschloss: Offensichtlich hatte man bei der Planung einen Paragraphen übersehen. Demnach verliert seine niederländische Nationalität, wer freiwillig eine andere annimmt. Pieter Boelens, Professor für Immigrationsrecht an der Universität Leiden, hält fest: »Ihre niederländischen Pässe sind momentan wertlos. Wenn sie keine Aufenthaltserlaubnis beantragen, sind sie hier illegal. Es heißt entweder-oder: für Kasachstan laufen, oder wieder Niederländer werden.«

Für die Läufer kam diese Wendung völlig unerwartet. Offensichtlich hatten sie sich kaum mit dem rechtlichen Aspekt des Plans beschäftigt. »Jemand in Kasachstan sagte uns, dass alles in Ordnung sei. Darauf vertraue ich«, so ein verdutzter Rob Hadders Anfang November. Seither liegt das Unternehmen Olympia auf Eis. Sergej Tsybenko beruhigt sein niederländisches Personal weiterhin, auf Trainer Anema macht das ambitionierte Projekt allerdings »keinen vertrauenswürdigen Eindruck« mehr. Eine Entscheidung der niederländischen Behörden steht noch aus. Hadders und seine Kollegen sind indes zum Zuschauen verurteilt. Die Weltcuprennen in der alten Heimat im friesischen Heerenveen, einem Zentrum des Schlittschuhsports, fanden ohne die Neukasachen statt, und auch bei den nächsten Terminen in Nordamerika ist ihre Teilnahme ungewiss. Der Weltverband International Skating Union (ISU) verweigert die Starterlaubnis, offiziell, weil nicht alle erforderlichen Dokumente vorliegen. In den Niederlanden kursieren da­gegen Gerüchte, von kasachischer Seite seien die Ausstellungsdaten der Pässe fingiert worden, um die Teilnahmebedingungen zu erfüllen.

Kurios ist der Fall auch deswegen, weil Nationalitätenwechsel gerade im niederländischen Eisschnellauf mit seiner internationalen Spitzenstellung keine Seltenheit sind. Der Begriff »Schlittschuhbelgier« ist in diesen Kreisen ein geflügeltes Wort, seit Bart Veldkamp, 1992 Olympiasieger, in den letzten Jahren seiner Karriere für das Nachbarland auflief. Andere folgten ihm. Auch für Tschechien, die Schweiz, Deutschland und Österreich gingen niederländische Eisläufer an den Start, ohne dass dies für Probleme sorgte.
Kasachstan als Nicht-EU-Land erweist sich nun als weniger geeignet. »Natürlich hätte ich das gerne früher gewusst«, sagt Rob Hadders lapidar. »Vielleicht sollte ich das doch mal nachschlagen.«

Kommentare

1 Kommentar zu “»Wie der nächstbeste Asylbewerber«”

  1. TrafficGirl am 01.16.10 06:13

    Grüß Dich. Kannst du mir bitte erzählen, wie dein Blog Template heißt? Ich möchte das gerne auch für unsere Seite verwenden. danke im Voraus.

blogoscoop