Löwen, Bayern, Juden

von Martin Krauss

150 Jahre 1860 München wurde jüngst gefeiert. Und die Initiative „Löwen-Fans gegen Rechts“ hatte erst im vergangenen Jahr den Julius-Hirsch-Preis des DFB bekommen. Grund, mal zu fragen, wo der besondere Antisemitismus im Fußball eigentlich herkommt: Ein Interview mit Dietrich Schulze-Marmeling, das ich für die Jüdische Allgemeine geführt habe.

Herr Schulze-Marmeling, der TSV 1860 München gilt als proletarischer Fußballverein mit antisemitischer Geschichte. Beim Lokalrivalen Bayern München findet sich eine Tradition liberalen Judentums. Ist das typisch?

Die Wahrnehmung des TSV 1860 als proletarische Adresse ist eher eine Post-1945-Sache. Vor 1933 waren die »Löwen« ein kleinbürgerlich geprägter Verein und Tummel- platz Deutschnationaler, die die Republik ablehnten. Die Bayern waren auch bürgerlich, aber anders: ein in Schwabing beheimateter Verein von Zugereisten, von Studenten, Künstlern oder Kaufleuten.

Warum zog es liberale Juden eher zum Fußball als beispielsweise zum Turnen?

Viele der städtischen Juden – und der Fußball war ein städtisches Spiel – zählten sich zum modernen Bürgertum, das liberal und kosmopolitisch ausgerichtet war. Fußball war ein englischer Sport, und »british« oder »english« ließ sich damals auch mit »modern« übersetzen.

Kann man sagen, dass sich Antisemitismus besonders stark in proletarisch geprägten Klubs findet?

Nein. Zumindest nicht vor 1933. Antisemitismus war und ist ein klassenübergreifendes Phänomen. Die deutschen Akademiker waren ja gut dabei, wie auch das Beispiel des TSV 1860 zeigt. Es stimmt aber, dass bürgerliche Klubs eher Opfer des Antisemitismus wurden, weil hier Juden deutlich häufiger in wichtigen Funktionen zu finden waren: siehe Bayern München, Eintracht Frankfurt oder Tennis Borussia Berlin.

Vor einem Jahr ging der Julius-Hirsch-Preis des DFB an die 1860-Initiative »Löwen-Fans gegen Rechts«. Was bewirken solche Initiativen?

Man muss bedenken, dass Leute wie der in Auschwitz ermordete jüdische Nationalspieler Julius Hirsch oder der »Kicker«-Gründer Walther Bensemann 1933 aus der Geschichte hinausgeschrieben wurden. Nach 1945 – das ist ein großer Skandal – wurden sie nicht wieder aufgenommen, da ja noch immer dieselben Leute die offizielle Geschichtsschreibung verantworteten! Ihre Rückkehr erfolgte erst mehr als 50 Jahre nach dem Krieg. Für mich, der ich seit Teenager-Jahren politisch engagiert bin, ist das der bislang schönste und wichtigste politische Erfolg in meinem Leben.

Das Interview wurde geführt für und erschien in: Jüdische Allgemeine Nr. 34/2010 vom 26.8.2010

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